08.11.2020
Bundesliga

Punkt um Punkt

Die Eintracht stellt sich in Stuttgart wieder vor Rätsel, die sie selbst zu lösen vermögen. Der Grat zwischen Bewunderung und Verwunderung bleibt schmal.

Zwischen Welt- und Bundesligageschichte

Splitscreen: Während sich am frühen Samstagabend der VfB Stuttgart und Eintracht Frankfurt in Bad Cannstatt einen bis zur letzten Sekunden offenen Schlagabtausch um die Saisonzähler zehn bis zwölf lieferten, sickerten in den USA erste Meldungen durch, wonach der designierte neue Präsident Joe Biden seine Siegesrede vorbereiten sollte. Tatsächlich stand wenige Minuten später das 46. Oberhaupt der Vereinigten Staaten fest, die Hessen wiederum verpassten es nur knapp, indirekt etwas (Bundesliga-)Geschichte zu schreiben. Ein Auswärtssieg wäre nämlich gleichbedeutend mit der 202. Heimniederlage der Schwaben im deutschen Oberhaus gewesen, was einen neuen Höchstwert in der nationalen Eliteklasse bedeutet hätte.

Der Konjunktiv blieb hinterher ein ebenso angebrachtes wie unbeliebtes Stilmittel. Wenn selbst Stuttgarts Trainer Pellegrino Matarazzo nach einer 2:0-Führung „mit dem Punkt zufrieden sein“ konnte, lässt sich der Verlauf der letzten halben Stunde mehr als erahnen. Zwar räumte SGE-Chefcoach Adi Hütter mit Blick auf den Lattentreffer von Mateo Klimowicz (56.) ein, dass „Stuttgart den Sack hätte zumachen können.“ Auf der anderen Seite bemerkte Bruno Hübner: „Wir waren nach der Pause sehr dominant und hätten vielleicht sogar noch den Sieg verdient gehabt.“ Und Martin Hinteregger, der auf dem Platz mit 21 die meisten Zweikämpfe für sich entschied, meinte: „Wir hatten über das gesamte Spiel ein paar Vorteile und hätten sogar noch als Sieger vom Platz gehen können.“

Konstante Charakterstärke, inkonstante Auftritte

Festzumachen sind derlei Meinungen auch an den Einordnungen der hiesigen Presselandschaft. Der kicker bemerkte einen „deutlichen Aufschwung“ und der Wiesbadener Kurier titelte von einer „Eintracht-Aufholjagd“, die nicht nur für die hessenschau in einem „Punktgewinn“ gipfelte. Hütter selbst sprach seinerseits von „einem gewonnenen Punkt.“ Die vierte Punkteteilung im siebten Spiel, übertroffen einzig vom VfL Wolfsburg, war gleichwohl nicht nach jedermanns Geschmack, andererseits machten die Adlerträger auf diese Weise bereits zum vierten Mal in dieser Spielzeit einen Rückstand wett, nachdem sie insgesamt acht Punkte ergatterten – so oft wie kein anderer Verein. Für Hütter untrügliche Zeichen, „dass die Mannschaft Charakter und Mentalität besitzt.“

In die gleiche Kerbe schlug Kevin Trapp: „Nach der Pause haben wir Moral bewiesen und die Attribute abgerufen, die uns auszeichnen“, nachdem seine Vorderleute zuvor nicht in die Zweikämpfe gekommen seien. Die zweigeteilte Analyse versah der erneut für die DFB-Auswahl berufene Nationaltorhüter jeweils mit einem „wie so häufig“. Die Frage, weshalb Frankfurt, wie von Makoto Hasebe bemängelt, aufs weitere Mal „leider wieder zwei unterschiedliche Gesichter“ gezeigt hat, stellt sich daher nicht nur Außenstehenden, auch wenn sie pauschal schwer zu beantworten scheint, wie Barkok aufschlüsselt: „Ich würde nicht sagen, dass wir immer einen Rückstand benötigen, um wach zu werden. Das ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich, denn gegen Bielefeld und Köln war auch die erste Halbzeit gut.“

Barkok on top

Eine genauso zutreffende Bestandsaufnahme wie die Erkenntnis von Trapp, dass „die Einwechslungen von Amin und Aymen unserem Spiel gutgetan“ haben, „gerade durch ihre Dribbelstärke.“ Was der Fußballlehrer so bestätigte. „Aymen und Amin haben auf den Außenbahnen zusätzlich für neuen Schwung gesorgt“, ist sich Hütter der Eigenschaften seiner Kreativspieler bewusst. Dass diese erneut zunächst auf der Bank Platz nahmen, hatte der 50-Jährige bereits am Freitag durchblicken lassen, als er mit dem Gedanken spielte, seine immerhin in den vergangenen elf Begegnungen nur von den Bayern bezwungene intakte Truppe „vor der Länderspielpause nochmal in dieser Besetzung beobachten“ zu wollen.

Comeback des Tages: Filip Kostic kommt für Daichi Kamada ins Spiel.

Einzig der kurzfristige Ausfall von Sebastian Rode, dessen Vertreter Dominik Kohr mit 11,3 Kilometern gleich laufstärkster Frankfurter war, wegen einer leichten Sehnenreizung am Gesäß verhinderte eine identische Elf wie gegen Werder Bremen. Dafür kehrten mit Filip Kostic neben dem gegen Werder ebenfalls unpässlichen Tuta zwei weitere Akteure ins Aufgebot zurück. Weil der wiedergenese Linksaußen keine zwei Minuten nach seiner Einwechslung an alter Wirkungsstätte mit einem wuchtigen Freistoß die Geschichte des Spiels in seinem 100. Pflichtspiel für Frankfurt aber nicht auf den Kopf stellte, galten die Scheinwerfer vor allem Edeljoker Barkok, in bisher jedem der acht Pflichtspiele 2020/21 eingewechselt und nicht nur wegen seiner zwei Assists gewissermaßen der Mann des Spiels. Mit 34,57 Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit stellte er sogar die schwäbischen Supersprinter in den Schatten, neun Balleroberungen in 45 Minuten suchen zumindest auf Frankfurter Seite ebenfalls ihresgleichen. Das Eigengewächs nahm’s gewohnt bescheiden und zugleich beseelt zur Kenntnis: „Mit zwei Assists kann ich gut leben. Ich bin glücklich, dass ich der Mannschaft damit zum Punktgewinn verhelfen konnte.“

Nun gilt es, in der Länderspielpause zu regenerieren und uns gut auf die kommenden Spiele vorzubereiten.

Cheftrainer Adi Hütter

Für den Frankfurter Jungen mit marokkanischen Wurzeln geht es wie für acht weitere Adlerträger in den kommenden knapp eineinhalb Wochen nun erstmal zur Nationalmannschaft, während für die Daheimgebliebenen neben je einer Vormittagseinheit am Dienstag, Mittwoch und Freitag am Donnerstag, 14 Uhr, das Testspiel gegen den 1. FC Nürnberg bevorsteht. Derweil beschwört Chefcoach Adi Hütter nach dem zehnten Zähler und Platz zehn seine Mannen, „in der Länderspielpause zu regenerieren und uns gut auf die kommenden Spiele vorzubereiten.“ Auch damit die nächste Siegesrede nicht länger auf sich warten lassen muss.