01.02.2019
Spurensuche

Sonnys Geschichte

Als Kind wurde Helmut „Sonny“ Sonneberg verfolgt – und noch 1945 nach Theresienstadt deportiert. Das ist seine Geschichte:

Helmut „Sonny“ Sonneberg ist bei der Eintracht bekannt wie ein bunter Hund. Der Mann, der 1959 mit Zylinder und bemaltem Auto nach Berlin reiste, ist bis heute ein riesen Eintrachtler, der immer wieder auch zu Gast im Museum ist. Einmal hat Sonny sogar eine ganze Veranstaltung im Museum geschmissen: „Sonny erklärt die Eintracht“ war ein Abend voller Witz, Charme und toller Fußballgeschichten. Dafür gab es vom Museum eine eigene Autogrammkarte. Jüngst war Sonny sogar Titelthema der „11 Freunde“.

Helmut Sonneberg wird am 4. Juni 1931 geboren. Seine Mutter Ria stammt aus einem jüdischen Elternhaus in Somborn, sie arbeitet in Frankfurt als Dienstmädchen.  Sein Vater ist Handelsvertreter und ebenfalls jüdischen Glaubens. Doch die Eltern leben nicht zusammen, Ria zieht mit ihrem Sohn Helmut in ein möbliertes Zimmer in der Fahrgasse. Hier lernt Ria Herrn Wessinger kennen, der im gleichen Haus wohnt.  Herr Wessinger verspricht, den kleinen Helmut wie seinen eigenen Sohn zu behandeln.1932 heiraten die beiden, die Mutter lässt sich taufen und nimmt den Christlichen Glauben an.  Auch Helmut wird getauft. 1932 wird Lieselotte, das zweite Kind von Ria geboren. Die Familie zieht im Frühjahr 1933 in eine neue Wohnung im Wollgraben 10.

Leben im Kinderheim

Mit der Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 wird der Antisemitismus von den  Nationalsozialisten mit einer juristische Grundlage versehen. Trotz der Taufe gelten Helmut Sonneberg und seine Mutter Ria als Juden. Schwester Lieselotte, genannt „Lilo“, ist in der Sprache der Nationalsozialisten „Halbjüdin“ und die Eltern leben in einer „Mischehe“. Auf den Vater, der in der Terminologie des Nationalsozialismus „Arier“ ist, wird Druck ausgeübt. Er soll sich von seiner Frau scheiden lassen. Doch der Vater steht trotz aller Schikanen zu seiner Familie. 1940 werden die Eltern darüber informiert, dass Helmut fortan im jüdischen Kinderheim im Röderbergweg leben muss. Die Familie soll auseinandergerissen werden. Doch die Eltern versuchen, den Kontakt so gut es geht aufrecht zu erhalten. Jeden Samstag besucht die Familie Helmut im Kinderheim.  Er selbst geht unter der Woche im Philantropin zur Schule. Ab September 1941 muss der 10-Jährige auf seiner Jacke den Judenstern tragen.

Als das Kinderheim im Röderbergweg im Sommer 1942 geräumt wird, muß Helmut Sonnenberg ins jüdische Kinderheim in Sachsenhausen umziehen. Das Philantropin wird geschlossen, ein Schulbesuch ist für Helmut ab sofort nicht mehr möglich.  Jüdische Kinder sollen keine Bildung mehr erhalten. Fortan wohnt Helmut  im Kinderheim in der Hans-Thoma-Straße 24. Seine Mutter Ria bewirbt sich als Haushaltshilfe und Köchin im Kinderheim und kommt hier unter. Dadurch wird der Kontakt zum Sohn wieder enger. Doch 1943 folgt für die Familie der nächste Schock. Die Wessingers müssen aus ihrer Wohnung im Wollgraben ausziehen. Gemeinsam mit Tochter Lilo bezieht die Familie eine kleine Wohnung in einem „Judenhaus“ im Großen Wollgraben 26.

Verschleppung verhindert

1943 wird das jüdische Kinderheim in Sachsenhausen geräumt, die Kinder werden deportiert. Dem Stiefvater gelingt es, Helmuts Verschleppung zu verhindern. Er spricht bei der Gestapo vor, zeigt seine Ehrenzeichen aus dem Ersten Weltkrieg und fordert, dass der Sohn in Frankfurt bleiben kann. Seine Courage wird belohnt, Helmut entgeht der Deportation und wohnt fortan wieder bei seiner Familie. In die Schule darf er als Jude weiterhin nicht gehen. Zu seiner eigenen Sicherheit verbieten ihm die Eltern außerdem, das Haus zu verlassen.

Tagsüber sind die Eltern arbeiten und Schwester Lilo in der Schule. Helmut fühlt sich allein in der Wohnung wie in einem Gefängnis. Immer wieder bekniet er seine Eltern, wenigstens einmal ins Kino gehen zu dürfen. Die Eltern geben nach. Damit der Judenstern auf seiner Jacke nicht zu sehen ist, entwickelt Helmut einen Trick. Er befestigt den Stern mit einer Sicherheitsnadel unter dem linken Kragen seiner Jacke. So sieht man den Stern nicht auf den ersten Blick. Sollte Helmut in eine Kontrolle kommen, kann er den Kragen hochstellen und der Stern ist gut sichtbar. Die wenigen in Frankfurt verbliebenen Juden, stehen unter immensem Druck. Wenn sie auf offener Straße durch den markanten Judenstern erkannt werden, werden sie nicht selten beleidigt oder geschlagen. Den Stern nicht zu tragen oder zu verbergen ist aber streng verboten, die Strafen für dieses Vergehen sind drastisch. Helmut geht mit einem mulmigen Gefühl zum ersten Mal seit Jahren wieder ins Kino. In den folgenden Monaten büxt er immer mal wieder aus und erkundet die Frankfurter Altstadt – immer in der Angst, erwischt oder enttarnt zu werden.

Deportation 1945

Am 18. März 1944 wird die Wohnung der Wessingers beim Bombenangriff auf Frankfurt zerstört. Helmut und seine Familie können sich retten, doch fortan sind sie heimatlos. Zunächst flüchtet die Familie für einige Wochen in den Schwarzwald, danach kommen sie bei einem befreundeten Paar in der Duisbergstraße unter. Ria erwartet in diesen Wochen ihr drittes Kind, Gerdi wird am 4. Juni 1944 in Frankfurt geboren.

Die Wessingers sehnen das Kriegsende herbei, doch Anfang 1945 trifft sie ein weiterer Schlag: Am 8. Februar wird Ria Wessinger informiert, dass Sie am 14. Februar gemeinsam mit Helmut „zum geschlossenen Arbeitseinsatz nach außerhalb“ deportiert werden soll. Ria wendet sich an den Stadtpfarrer Herr, der sie und Helmut einst getauft hatte. Sie bittet ihn um Hilfe, aber auch der Pfarrer kann nichts tun. Am Abend des 13. Februar macht die Familie Wessinger ein gemeinsames Abschiedsfoto, am 14. Februar 1945 werden Helmut und seine Mutter mit fast 200 weiteren Frankfurter Juden, die in sogenannten „Mischehen“ lebten, nach Theresienstadt deportiert. Beide überleben die Deportation und kehren nach Kriegsende zu ihrer Familie nach Frankfurt zurück

Rückkehr nach Frankfurt

Helmut Sonneberg ist bei seiner Rückkehr nach Frankfurt 14 Jahre alt – durch das Verbot, eine Schule besuchen zu dürfen, aber eigentlich ein Drittklässler. Die Rückkehr in die Schule fällt ihm schwer, er absolviert eine Ausbildung zum Autoschlosser. Es ergibt sich für ihn die Möglichkeit, nach Israel auszuwandern. Doch er entscheidet sich, in seiner Heimatstadt zu bleiben. Helmut hat in Frankfurt Freunde gefunden, er spielt Fußball und ist seit 1946 Mitglied bei seinem Lieblingsverein, der Frankfurter Eintracht. Er liest gerne, liebt die Musik und vor allem den Jazz und besucht regelmäßig Konzerte. Gemeinsam mit Freunden ist er bei allen Spielen  der Eintracht am Riederwald oder im Stadion, in den 1950er Jahren fängt er auch an, zu Auswärtsspielen zu reisen. Im Verein kickt er selbst einige Jahre für die dritten und vierten Amateure, unter anderem mit Horst Schmidt, dem späteren DFB-Sekretär.

Mit der Zeit wird aus Helmut „Sonny“, und „Sonny“ lässt sich immer wieder etwas einfallen für seine Eintracht. Die Deutsche Meisterschaft 1959 feiert er in Berlin mit einem selbstgeschneiderten „Eintracht-Anzug“ mit Eintracht-Zylinder. Helmut trägt nach großen Siegen Alfred Pfaff auf den Schultern – und entwirft für seine Freunde Hutkreationen, die zum Pokalfinale 1964 von allen Kumpels aufgesetzt werden. Werden die Hüte nach vorne getragen und die Gruppe steht in der richtigen Reihenfolge, kann man „EINTRACHT“ lesen. Wenn die Truppe die Hüte umdreht, liest der Betrachter „FRANKFURT“.

Beruflich findet Helmut Sonnenberg bei der Stadt Frankfurt sein Glück. Bis zum Eintritt in die Rente fährt er den Bücherbus, der kleineren Stadtteilen als mobile Bücherei dient. Als Rentner hat er dann noch mehr Zeit, seine Eintracht zu beobachten. Sonny gehört zu den Trainingskiebitzen, die sich täglich am Riederwald treffen. Als die Profis der Eintracht im Jahr 2000 ihre neuen Trainingsplätze am Stadion beziehen, bleiben Helmut und seine Kumpels am Riederwald. Zunächst treffen sie sich im alten Presseraum, später bauen sie sich ein altes Kassenhäuschen auf. Bis heute ist Sonny regelmäßig beim Training und den Spielen der Eintracht. Er ist Mitglied im Förderverein des Eintracht-Museums und oft zu Gast bei Veranstaltungen. Immer wieder haben wir ihn auch eingeladen, seine Geschichte im Museum zu erzählen. „Hör uff, des mach ich net“, waren dann meist seine Worte. Sonny fällt es bis heute schwer, über die Verfolgung zu berichten, die er als Kind erlitten hat. „Du weißt doch, ihr könnt alles bei meiner Schwester nachlesen“, fügt er bei Gesprächen immer wieder an. Und das haben wir auch gemacht. Sonnys Schwester Lilo hat die Geschichte der Familie Wessinger nämlich in beeindruckender Form aufgeschrieben und im Buch „Endlich reden“ dokumentiert. Wir freuen uns aber ganz besonders, dass Sonny uns jetzt schon mehrfach als Zeitzeuge im Museum zur Verfügung stand. Immer wieder lauschen wir gespannt, schockiert und betroffen seinen Erinnerungen. Und freuen uns doch, wenn Sonny stets damit endet: „Das war jetzt sehr schwer. Lasst uns noch mal über die Eintracht reden“.

Literaturtipp:

„Endlich reden“, Lilo Günzler in Zusammenarbeit mit Agnes Rummeleit, 2009, Henrich-Edition, Frankfurt.