...mit einem Trainer, dessen Rauswurf zwischendurch gefordert wird, einem Torwarttrio in ungewöhnlicher Rotation, dem Weltmeisterstürmer, dessen Abschied beschlossene Sache ist, und einem Happy End weit vor dem letzten Saisonspieltag.
1981: Ronald Reagan wird im Januar als 40. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt, MTV geht mit dem Titel „Video Killed the Radio Star“ auf Sendung und der Schwarzspecht wird zum Vogel des Jahres gekürt. Am 2. Mai des gleichen Jahres holt die Eintracht in Stuttgart durch ein 3:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern zum dritten Mal in ihrer Vereinsgeschichte den DFB-Pokal an den Main. Für Bernd Hölzenbein, dessen Wechsel zu den Fort Lauderdale Strikers bereits einige Wochen zuvor feststand, sollte es der letzte große Triumph im allerletzten von über 500 Spielen für seine Eintracht werden. Nach Jürgen Grabowski, der ein Jahr zuvor seine Karriere beenden musste, verließ nun der zweite WM-Held von 1974 den Verein. 40 ereignisreiche Jahre ist dies nun her. Zeit also, einen dezidierten Blick auf eine Saison zu werfen, die wie 1974 und 1975 durch einen DFB-Pokalsieg gekrönt wurde. Das Jahr eins nach Grabis Abschied vom grünen Rasen.
Ein Jahr zuvor wurde die Eintracht durch das 1:0 gegen Borussia Mönchengladbach erstmals UEFA-Cup-Sieger. Fred Schaubs Treffer im ausverkauften Frankfurter Waldstadion egalisierte das 2:3 aus dem Hinspiel, die Auswärtstore sprachen für die Eintracht. Schon damals war Jürgen Grabowski zum Zuschauen verdammt. Er, der die Eintracht verkörperte wie kaum ein Zweiter, wurde im Ligaspiel gegen Gladbach durch einen Tritt des blutjungen Lothar Matthäus außer Gefecht gesetzt. Obschon er seine Karriere zum Saisonende ohnehin beenden wollte, blieben ihm die Finalspiele um den europäischen Titel dadurch versagt. Zum Saisonauftakt 1980/81 trat die Eintracht erstmals seit 15 Jahren ohne ihren langjährigen Kapitän an. Sein Nachfolger im Amt wurde Bernd Hölzenbein.
Neben dem Abschied von Jürgen Grabowski bewegte vor allem der Trainerwechsel von Friedel Rausch zu Lothar Buchmann die Gemüter. Ansonsten blieb der Kader im Vergleich zur Vorsaison relativ stabil. Prominentester Zugang war der von Zweitligist Hertha BSC gekommene Michael „Icke“ Sziedat. Ralf Falkenmayer rückte aus der eigenen Jugend zu den Profis auf, Norbert Hönnscheidt kam aus Kastel und Joachim Jüriens aus Herzogenaurach. Horst Ehrmantraut hingegen verließ die SGE in Richtung Hertha und Christian Peukert, der Mann mit der besten Schuss-(Sieg-)Tor-Minuten-Quote aller Zeiten in der Bundesliga – eine Minute Spielzeit, ein Schuss, ein Siegtor – spielte nur noch für die Amateure. Im Januar sollte noch Fred Schaub den Klub verlassen. Mit Borchers, Cha, Hölzenbein, Körbel, Lorant, Nachtweih, Neuberger, Nickel oder Pezzey war die Truppe dennoch äußerst namhaft besetzt – und startete mit zwei Siegen auf Schalke sowie gegen Bielefeld verheißungsvoll in die neue Saison. Die erste Niederlage setzte es in Leverkusen, in einem Spiel, welches in die Geschichte eingehen sollte. Der Leverkusener Jürgen Gelsdorf holte Cha mit einer Grätsche von hinten von den Beinen, und während der Südkoreaner mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Außenlinie behandelt wurde, beschwerte sich der Leverkusener bei Schiedsrichter Klaus Ohmsen aus Hamburg lautstark über die Gelbe Karte. In Folge landete Cha im Krankenhaus, es wurde sogar spekuliert, ob er je wieder Fußball spielen könne. Gelsdorf erhielt derweil Morddrohungen sowie Polizeischutz. Im nächsten Auswärtsspiel fuhr sogar ein bewaffneter Polizist im Mannschaftsbus von Bayer 04 mit. Cha jedoch erholte sich schneller als gedacht – und stand fünf Wochen später wieder auf dem Platz. Zuvor hatte der gläubige Christ dem Übeltäter großherzig vergeben. 1983 wechselte er selbst nach Leverkusen und spielte gemeinsam mit Gelsdorf in einem Team.
Das letzte Pflichtspiel am Riederwald
Das Erstrundenspiel im Pokal stieg also ohne den flinken Stürmer, das Los führte die Eintracht zum VfB Gaggenau an den Rand des Nordschwarzwalds. Über Gaggenau lässt sich jetzt nicht besonders viel sagen, zumindest für den Ortsfremden. Die Murg mäandert gemächlich durch den Ort und Anton Rindenschwender (1725 - 1803), Gründer der Gaggenauer Glashütte, ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten des damals 28.000 zählenden Städtchens in der Nähe von Baden-Baden. Die Eintracht fuhr hin, schoss drei Tore durch Hölzenbein, Hönnscheidt und Lorant und zog erwartungsgemäß in die nächste Runde ein. Dort wartete mit dem VfB Friedrichshafen ein weiterer unterklassiger Gegner. Das Aufeinandertreffen am 4. Oktober 1980 sollte ein Spiel für die Geschichtsbücher werden. Nicht vom Ergebnis her, 6:0 hieß es standesgemäß nach 90 Minuten für die Eintracht. Für den Historiker interessant jedoch ist, dass die Partie bis heute das letzte Pflichtspiel der Eintracht war, das am heimischen Riederwald ausgetragen wurde. Ob sich die 2542 Zuschauer der historischen Dimension des Spiels damals wohl bewusst gewesen waren?
Munter ging es im Laufe der Saison auf der Torhüterposition zu. Mit Jürgen Pahl, Klaus Funk und Joachim Jüriens standen gleich drei Keeper zur Verfügung – und wechselten sich mehr oder weniger freiwillig ab, was Pahl zu folgender Aussage verleiten ließ: „So einen Trainer hatte ich noch nie gehabt.“ Buchmanns Konter: „Er [Pahl] zwang mich ja zu überraschenden Entschlüssen.“ Aber auch Jüriens konnte ein 1:4 bei Schlusslicht Uerdingen nicht verhindern, im Gegenteil: Die Abendpost bewertete den Auftritt des Torhüters kurz und schmerzhaft: „Ein rundum mißglücktes Bundesligadebüt“. Nach 14 Spielen hatte die Eintracht in der Liga bereits 28 Tore kassiert – und rangierte dennoch auf Platz fünf. In der nächsten Pokalrunde wartete nun der SSV Ulm, wobei die Eintracht das Glück hatte, erneut zu Hause spielen zu dürfen. Und mit den Spatzen kehrte der einstige Publikumsliebling Thommy Rohrbach in den Stadtwald zurück. 3000 Zuschauer verloren sich im weiten Rund und sahen einen ungefährdeten 3:0-Sieg.
In der nächsten Runde sollte es auf Reisen gehen, doch erneut blieb den Hessen das Losglück treu. Mit dem VfB Oldenburg erwischten sie den vierten unterklassigen Gegner nacheinander. Ein Spiel, das allerdings erst nach dem Jahreswechsel ausgetragen wurde. Zuvor hatte sich die Eintracht gegen den FC Sochaux denkbar knapp aus dem UEFA-Cup verabschiedet. Zwar endete von den letzten sieben Ligaspielen nur ein einziges siegreich, dennoch überwinterte Frankfurt auf dem sechsten Rang. Die Stimmung aber drohte zu kippen, es ging wieder einmal drunter und drüber. Trainer Buchmann durfte sich „Buchmann raus“-Rufe im Stadion anhören, der gerade erstarkte Jürgen Pahl hatte sich in Sochaux eine Verletzung zugezogen und fiel bis auf Weiteres aus. Für ihn kam Klaus Funk ins Spiel – während gegen Fortuna Düsseldorf Jüriens wieder zwischen den Pfosten stand und Funk durchaus verstimmt war: „Das ist ein Witz, da muss man doch das letzte bisschen Selbstbewusstsein verlieren.“ Zum Rückrundenauftakt stand Jürgen Pahl wieder im Tor. Das 5:0 gegen Schalke beruhigte die Situation zunächst.
Muntere Torwartwechsel, „Buchmann raus“-Rufe und die Hölzenbein-Nachricht
Die Reise nach Oldenburg endete glücklich, trotz der üblichen Wellentäler. 22.000 Zuschauer sahen zur Halbzeit ein knappes 3:2 für die Eintracht, die nach dem Wechsel auf 5:2 davonzog. Wurde das 3:5 noch stoisch hingenommen, so schrillten beim 4:5 in der 90. Minute alle Alarmglocken. Und hätte Jürgen Pahl nicht Sekunden später Kopf und Kragen riskiert, das Spiel hätte eine unschöne Wendung genommen. So blieb der Einzug in die nächste Runde, in der mit dem VfB Stuttgart bereits der vierte VfB dieser Pokalrunde auf die Eintracht wartete. Jene Stuttgarter, die im Jahr zuvor die Eintracht aus dem Pokal geworfen hatten. Trainer der Schwaben damals: Lothar Buchmann. Wieder einmal hatte die Eintracht Losglück und durfte ein Heimspiel austragen.
Zwischenzeitlich platzte die Bombe: Bernd Hölzenbein hatte einen Vertrag bei den Fort Lauderdale Strikers unterschrieben und werde die Eintracht noch vor Saisonende verlassen. In der Liga zeigte sich der Verein davon recht unbeeindruckt und weigerte sich standhaft, ein Spiel zu verlieren. Auch beim 1:1 in Stuttgart holte sich die SGE einen Punkt. 14 Tage später standen sich beide Teams im Pokal erneut gegenüber. Und wieder hieß es nach 90 Minuten 1:1. Doch Schluss ist, wenn der Schiri pfeift. Die Nachspielzeit nutzte der schon die gesamte Saison groß aufspielende Bruno Pezzey auf seine Weise und wuchtete eine von Nickel getretene Ecke zum viel umjubelten Siegtreffer ins Netz. Für den Stuttgarter Alexander Szatmári ein Déjà-vu, hatte er doch schon in der vergangenen Saison als Spieler von Dinamo Bukarest an gleicher Stätte ein Gegentor in letzter Sekunde hinnehmen müssen. Damals war es der Sitzkopfballtreffer von Holz. Anschließend hatte sich Szatmári von seiner Mannschaft abgesetzt und verblieb mit einem Antrag auf politisches Asyl in Deutschland. Die Eintracht aber stand im Halbfinale und 26.000 Menschen waren zufrieden. Mit der Berliner Hertha stand auch schon der Gegner fest. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ hieß es allerdings nicht. Wieder einmal hatte die Eintracht ein Heimspiel erwischt und das Finale sollte in Stuttgart stattfinden. Wenn möglich, ohne Berliner Beteiligung.
In der Liga hielt sich die Eintracht seit dem 17. Spieltag konstant auf dem fünften Rang – was sich bis zum finalen Spieltag auch nicht ändern sollte. Platz zwei nach den ersten beiden Spieltagen war saisonal das Höchste der Gefühle, sieben nach dem fünften der tabellarische Saisontiefpunkt. Im Januar schrieb der kicker: „Die Eintracht ist eine Mannschaft geworden, die als höchstes Ziel noch die UEFA-Pokal-Qualifikation erreichen kann. Mehr ist nicht drin.“ Wenn man bedenkt, dass es seinerzeit noch keine UEFA Champions League gab, eine erstaunlich defätistische Einschätzung.
Randale im Zug nach der verpatzten Finalgeneralprobe
Ein paar Tage später hatte sich Bernd Hölzenbein selbst um den Einsatz gegen Duisburg gebracht. „Der Eintracht-Kapitän lief versehentlich durch die gläserne Balkontür seines Eigenheims in Gravenbruch“, ließ die Abendpost wissen. Und da weder Cha noch Nickel das Tor so gut trafen wie Holz seine Tür, blieb es in Duisburg beim 0:0. Ein paar Tage später schlug die Eintracht, immer noch ohne Holz, den Club mit 3:0 und ging selbstbewusst ins Pokalhalbfinale gegen die Hertha, die obgleich nunmehr Zweitligist, der SGE schon empfindliche Niederlagen zugefügt hatte. Die gute Nachricht: Hölzenbein konnte zumindest für neun Minuten wieder mitspielen und die noch bessere: Eintracht Frankfurt schlug Hertha BSC durch Chas Treffer in der 30. Minute 1:0 und zog ins Endspiel ein. 26.000 Zuschauer wurden Zeuge eines packenden Spiels und erlebten die Rückkehr von Horst Ehrmantraut in die Mainmetropole. Es sollte nicht die letzte gewesen sein, wie man heute weiß. Die Eintracht erwies sich hingegen als geschäftstüchtig und verkaufte unmittelbar nach dem Halbfinale T-Shirts und Wimpel mit der Aufschrift „Pokalsieger 1981“.
Endspielgegner der Eintracht wurde der 1. FC Kaiserslautern, der sich gegen die Braunschweiger Eintracht knapp mit 3:2 durchsetzen konnte. Eine Woche später verabschiedete sich Bernd Hölzenbein beim 4:0 über den 1. FC Köln mit zwei Treffern vom heimischen Publikum, seinen letzten von 160 Bundesligatoren für die Frankfurter Eintracht. Vor dem Pokalfinale musste die SGE in der Liga noch nach Kaiserslautern und Karlsruhe reisen. Und das letzte Spiel seiner Zeit bei der Eintracht sollte den Pokal bringen. Soweit der Matchplan. Keine zwei Wochen vor dem Endspiel ging es folglich zum Bundesligaduell in die Pfalz – und die Generalprobe wurde tadellos verpatzt. Beim 0:2 fingen sich die Hessen die erste Niederlage des Jahres 1981 ein, wobei der Sieg rein sportlich für die Pfälzer vollauf in Ordnung ging. Dennoch waren einige Eintracht-Fans erzürnt. Bitter vor allem für den Vorsitzenden des Fanclubs „Westkurve“ Stefan Schäfer, der bei der Bundesbahn unterschrieben hatte, dass er für Schäden am eigens organisierten Sonderzug haften würde. Das Ende vom Lied ist der hiesigen Presse zu entnehmen: „Der Sachschaden, den der entfesselte Fußballmob anrichtete, beläuft sich nach Angaben der Bundesbahn auf mindestens 100.000 Mark! Darin sind die Folgekosten noch nicht enthalten.“
Triumph der Spielkunst
kicker
Die finale Geschichte in Kürze: „Triumph der Spielkunst“ betitelte der kicker den grandiosen 3:1-Sieg der wie entfesselt aufspielenden Adlerträger an jenem 2. Mai im Stuttgarter Neckarstadion. Neuberger und Borchers sorgten mit einem Doppelschlag für eine beruhigende 2:0-Pausenführung, Chas Treffer zum 3:0 besiegelte den dritten Pokalsieg der Vereinsgeschichte. Geyes Anschlusstreffer in der 90. Minute für den FCK, unter anderem mit Hans-Peter Briegel und Friedhelm Funkel sowie Trainer Karl-Heinz Feldkamp, war nichts anderes als eine sanfte Ergebniskosmetik. Hoffentlich hat sich Stefan Schäfer wenigstens ein bisschen gefreut. Eine Woche später stand für die Eintracht ein Spiel bei Borussia Mönchengladbach an, für Bernd Hölzenbein ging es zum Auswärtsspiel nach Montreal. Ohne ihn aber sollte die Eintracht in der Saison 1980/81 kein einziges Spiel mehr gewinnen. Was nach dem Pokalsieg sowie der damit verbundenen Qualifikation für einen Europapokalwettbewerb aber durchaus zu verschmerzen war.
Die Siegerelf von Stuttgart
Jürgen Pahl |
Karl-Heinz Körbel |
Willi Neuberger |
Bruno Pezzey |
Michael Sziedat |
Werner Lorant |
Norbert Nachtweih |
Bernd Nickel |
Ronny Borchers |
Cha Bum-kun |
Bernd Hölzenbein |
Trainer: Lothar Buchmann |