04.04.2020
Team

Tipps vom Prinz

In den sozialen Netzwerken mauserte sich Sahverdi Cetin zuletzt zum Torjäger. Sein Trainer liebäugelte zuletzt auch mit dem realen Debüt des Jungadlers.

Am 15. März war es endlich so weit. Nach in der laufenden Saison wettbewerbsübergreifend elf Nominierungen für den Spieltagskader schlug die Stunde von Sahverdi Cetin. Am 26. Bundesligaspieltag zu Hause gegen Borussia Mönchengladbach beim Stand von 5:1 eingewechselt, führte sich das Eigengewächs mit einem astreinen Doppelpack zum 7:1-Endstand so blendend ein wie vor ihm wohl letztmals Aymen Barkok, der im November 2016 sein Jokerdebüt mit dem Last-Minute-Siegtreffer zum 2:1 in Bremen veredelt hatte. Ein Einstand, fast zu schön, um wahr zu sein.Tatsächlich handelt es sich beim beschriebenen Szenario um einen (Wunsch-)Traum der einträchtigen Twitter-Gemeinde, die das aufgrund der Coronapandemie bis heute ausgesetzte Duell mit den Fohlen kurzerhand selbst in die Hand genommen und mit viel Witz und Charme die Herzen aller Fußballromantiker höher schlagen gelassen hat. Das des hochgetwitterten Cetins inbegriffen: „Das hat mir nochmal vor Augen geführt, wie sehr ich den Fußballplatz und die Stadionatmosphäre vermisse“, berichtet der Youngster während der bis Anfang April verhängten Quarantäne. „Ich konnte nur im Zimmer ein bisschen den Ball hochhalten und Fahrrad fahren. Doch der Zuspruch der Fans hat mir zusätzlichen Antrieb gegeben, mich fit zu halten“, zeigt sich der 19-Jährige angetan.

Fast alle Positionen gelernt

Die erste unverhoffte Motivationsspritze hatte es wiederum bereits drei Wochen vor dem virtuellen Schützenfest gegeben. „Sahverdi Cetin nimmt eine tolle Entwicklung. Ich überlege schon länger, ihn im richtigen Moment den Zuschauern zu präsentieren und hoffe, dass das bald der Fall sein wird, weil er im Training tolle Leistungen zeigt und ein guter Junge ist. Er muss manchmal auf ungewohnten Positionen spielen, weil wir im zentralen Mittelfeld eine große Auswahl haben, und macht auch dort eine gute Figur“, lobte Cheftrainer Adi Hütter auf der Pressekonferenz vor dem Heimspiel gegen Union Berlin. Sehr zur Freude des vielseitigen Mittelfeldakteurs, der weiter bescheiden wie geduldig bleibt. „Ich versuche, in jedem Training Gas und unabhängig von der Position mein Bestes zu geben“, nimmt der in Trainingsspielen bisweilen als Außen- oder Innenverteidiger aufgebotene Cetin seine Herausfordererrolle gerne an und fügt hinzu: „Zumal ich im Nachwuchsbereich ohnehin fast alle Positionen gespielt habe. In der U14 war ich Rechtsverteidiger.“ Das war 2013, nach dem Wechsel von Darmstadt 98 in die Mainmetropole.Bezeichnend, dass er der genannten gewachsenen Konkurrenz im Zentrum mehr Vor- als Nachteile abgewinnen kann. „Gerade von der Aggressivität eines Gelson Fernandes oder Sebastian Rode kann ich mir viel abschauen“, zeigt Cetin auf, der sich eines signifikanten Unterschieds zum Jugendbereich bewusst ist: „Bei den Herren sind meine Mit- und Gegenspieler körperlich wesentlich weiter. Alles ist schneller und intensiver.“ Weshalb er speziell in Sachen Beweglichkeit und Stabilisation Extraschichten schiebt. „Zurzeit arbeite ich auch gezielt an meinem linken Fuß.“ Um bei aller Passstärke noch weniger ausrechenbar zu werden. In dieser Hinsicht kommt dem gebürtigen Mainzer der Profibereich sogar entgegen. „In der Jugend hatte ich zwar mehr Zeit, während ich jetzt schon vor der Ballannahme wissen muss, wohin der nächste Pass geht.“ Umgekehrt könnten die älteren Kollegen besser auf seine Ideen eingehen, „weil sie allein aus Erfahrung wissen, wohin der Ball kommt.“

Einfach glänzen

Zu dieser Sorte zählt Cetin, seit Januar 2017 regelmäßiges Trainings- und Vorbereitungsmitglied im Lizenzspielerbereich, auch keinen Geringeren als Kevin-Prince Boateng. „Er hat mir viele Tipps geben können.“ Der wichtigste? „Dass ich mit den leichten Dingen anfangen soll. Das sieht besser aus, als unnötig den Ball zu verlieren, und führt schneller zum Erfolg.“ Die alte Cruyff’sche Weisheit, wonach der einfachste Fußball am schwersten zu spielen sei.Und weil die Nummer 30 spätestens mit dem ersten Profivertrag, der mit Vollendung des 18. Lebensjahres im Oktober 2018 in Kraft getreten ist, nicht als gewöhnlicher Rookie beim Bundesligisten durchgeht, schlüpft er bisweilen selbst in die Rolle des Ratgebers, sei es für weitere Jungprofis wie Patrick Finger und Nils Stendera oder Trainings- und Testspielgäste aus der A-Jugend, an deren Seite er bis Sommer 2019 aufgelaufen ist. „Ich versuche ihnen zu erklären, auf was der Trainer achtet.“ Als da wären: Lauf- und Kampfstärke, Emotionen, Teamgeist. Grundtugenden. Anschauungsunterricht gibt es im Frankfurter Lager genug. Gerade David Abraham, Timothy Chandler und Erik Durm nähmen einen öfter an die Hand, „aber auch viele andere wie Jonny de Guzman und Goncalo Paciencia beziehen mich auch neben dem Platz mit ein“, fühlt sich das einstige Nesthäkchen voll integriert.

Von Blau zu Rot

Kontakte pflegt der 29-malige Juniorennationalspieler ebenso über den Stadtwald hinaus, verfolgt etwa via Instagram aufmerksam den Werdegang seiner Jahrgangsgenossen, mit denen er 2017 nacheinander die U17-Europa- und Weltmeisterschaft bestritt. Ob John Yeboah beim VfL Wolfsburg, Fiete Arp für den Hamburger SV, Lars Lukas Mai beim FC Bayern, oder auch internationale Turniergegner wie der Spanier Sergio Gómez für Borussia Dortmund und der Brasilianer Paulinho bei Bayer 04 Leverkusen haben bereits Bundesligaluft geschnuppert.Mit einem Doppelpack konnte davon nur letzterer aufwarten, ausgerechnet im vorerst letzten Bundesligaspiel am 25. Spieltag gegen die Eintracht. Aufgrund des unterbrochenen Spielbetriebs wäre daher auch die Frage nach Cetins realer Premiere müßig. Doch der junge Mann vom Riederwald bleibt ehrgeizig: „Ich bin hungrig auf mein Debüt!“ Dann nicht in Umgebung von Larry, so der Name des blauen Twitter-Vogels, sondern des fleischgewordenen Eintracht-Maskottchens Attila. Und dem rot-weißen Adlerflock auf der Brust.