18.05.2023
Historie

Vor einem Jahr

Am 18. Mai 2022 gewinnt Eintracht Frankfurt als erster deutscher Klub die UEFA Europa League. Der achte große Fußballtitel der Vereinsgeschichte aus acht Blickwinkeln.

Deutscher Meister 1959. DFB-Pokalsieger 1974, 1975, 1981, 1988 und 2018. UEFA-Cup-Gewinner 1980.

Champion der UEFA Europa League 2022!

Seit Rafael Santos Borré am 18. Mai vor einem Jahr kurz vor Mitternacht den alles entscheidenden Elfmeter an Allan McGregor vorbei in die Maschen schweißte, ist nicht nur der Briefkopf von Eintracht Frankfurt um eine Errungenschaft reicher. Überhaupt war die Einheit aus dem Herzen von Europa die erste Mannschaft aus Deutschland seit dem FC Schalke 04 1997, die diese Trophäe respektive die Vorgängerversion UEFA-Pokal erringen konnte. So viel ist sicher: Diese 131 Minuten in Sevilla gegen den Rangers FC sind nicht allein vom Rasen des Estadio Ramón Sánchez Pizjuán aus zu betrachten.

1. Für den Jürgen

Unter das Adlerdach kehrte der Europapokal erstmals seit 42 Jahren zurück. Zuvor das bis dato einzige Mal war ein solcher Coup der Elf von Friedel Rausch gelungen. Fred Schaub traf seinerzeit im Rückspiel gegen Borussia Mönchengladbach zum entscheidenden 1:0 und elektrisierte das Waldstadion. An Ort und Stelle steppte auch in der Nacht auf den 19. Mai der Bär – und eine Etage höher spendete, ganz sicher, der wenige Monate zuvor verstorbene Jürgen Grabowski seinen Thronfolgern Applaus. Grabi hatte das internationale Finish damals verletzungsbedingt verpasst, war aber zuvor nicht nur als Kapitän und Spielmacher und danach Zeit seines Lebens eine zentrale Figur der Adlerträger.

2. Helden von heute

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Menschen – sagen wir nach 42 Jahren dann 2064 – nicht mehr jedes Mosaik dieser Truppe in vergleichbarer Erinnerung behalten werden. Klar, da wäre Kevin Trapp mit seinem gehaltenen Elfmeter gegen Aaron Ramsey und der Jahrhundertparade gegen Ryan Kent in der 118. Minute. Natürlich Borré, gewissermaßen der Schaub der Gegenwart.

6:5 nach Elfmeterschießen gegen den Rangers FC. Trapp hält einen Elfer, Borré verwandelt den entscheidenden.

Martin Hinteregger, der mit seinem Last-Minute-Kopfball im Achtelfinalrückspiel gegen Real Betis Balompié das Weiterkommen entschied; sich im Halbfinale gegen den West Ham United FC aber verletzte und die letzten K.-o.-Duelle zum Zuschauen gezwungen war. Weshalb jener Titelgewinn auch heimliche Helden hervorbrachte wie Almamy Toure, der bis zur letzten Sekunde in der Hitze Andalusiens seinen Mann stand. Von Camp-Nou-Schreck Filip Kostic oder Sebastian „Kennt-kein-Schmerz“ Rode ganz zu schweigen...

Deshalb für heute und die Nachwelt nochmal alle Europa-League-Adler 2021/22 auf einen Blick

TorAbwehrMittelfeldAngriffTrainerteam
Kevin TrappEvan NdickaKristijan JakicSam LammersOliver Glasner
Jens GrahlStefan IlsankerAjdin HrusticRafael Santos BorréMichael Angerschmid
Diant RamajMartin HintereggerDjibril SowRagnar AcheRonald Brunmayr
Jannik HorzAlmamy ToureFilip KosticJens Petter HaugeJan Zimmermann
Timothy ChandlerDaichi KamadaGoncalo Paciencia
Danny da CostaSebastian Rode
Christopher LenzMakoto Hasebe
TutaAymen Barkok
Erik DurmJesper Lindström
Ansgar Knauff

3. Sportlich betrachtet

4. Das Drama am Siedepunkt

Ein Finale, das keinen Verlierer, weder auf dem Rasen noch auf den Rängen, verdient hat, sucht seinen Sieger im Elfmeterschießen. Die Platzwahl beginnt erstmal so semi. Die Rangers gewinnen und wählen als Strafraum für den Showdown den vor ihrer blauen Wand. Die ersten drei Versuche jedes Teams sitzen, auf Frankfurter Seite zeigen Lenz, Hrustic und Kamada keine Nerven...

Eine Eiseskälte, die beim Publikum im weiten Rund kaum beim besten Willen nicht auszumachen ist. Schwenk auf die Pressetribüne, auf der das EintrachtFM-Duo Lars Weingärtner und Marc Hindelang zwischen Hoffen und Bangen kommentiert. Lautstärkeregler hoch!

5. Bilder im Kopf

18. Mai 2022, 23.54 Uhr. Ein Schuss, ein Moment, an dem die Eintracht-Welt stillsteht.

Viele wussten es ja vorher, noch mehr benötigten aber noch Tage, vielleicht Wochen und Monate, um wirklich zu greifen, begreifen, was Spieler, Trainer- wie Betreuerteam, Fans und Funktionäre gemeinsam vollbracht hatten. Was folgte, war nicht nur eine kurze Nacht in Spanien, eine Mainmetropole im Ausnahmestadion und eine Region, teilweise Nation, im Freudentaumel. Sondern nicht zuletzt Erinnerungen und Bilder für die Ewigkeit. Manche erblickten schneller das Licht der Welt, andere fanden nachgelagert den Weg in die Öffentlichkeit.

Ob die Vernissage mit fleischgewordenen Kunstwerken, die am 23. März ins Kino gekommene zweistündige Dokumentation „In diesem Jahr ­– der Film“ oder das gleichnamige hochwertige Buch „In diesem Jahr – 56 Stunden mit Europas bester Mannschaft“ mit 236 Fotomotiven auf 244 Seiten: Wer jene Maitage Anno ‘22 irgendwann vergessen haben sollte, dann nur mutwillig.

„In diesem Jahr – der Film“

So viele Gänsehautmomente wie die Ankunft in Frankfurt, der Autokorso, die Party auf dem Römerberg, Glasners Diver, die Bierdusche auf der Pressekonferenz nach dem Endspiel auf der Hand liegen mögen, so unterschiedlich mögen Ort, Wahrnehmung und Gedanken bei jedem Einzelnen im Augenblick des Triumphs gewesen sein. Nicht zuletzt „Die magische Nacht von Sevilla“ hat nochmal ganz neue Perspektiven eröffnet.

6. Die magische Nacht von Sevilla

Denn diese erstmalige Audio-Dokumentation hat es geschafft, die Tage rund um das Europa-League-Finale mit einer nie da gewesenen Nähe einzufangen und alle Gefühle auf einer nochmal anderen Ebene zu vermitteln.

7. Für das Frankfurter Herz in der Frankfurter Brust 

Freilich hätten die Hessen allein gemessen an Ticketanfragen die Endspielstätte mehr als zwei, drei Mal füllen können. Die allgegewärtige Begeisterung und Energie war schließlich nicht erst nach dem 5:4 nach Elfmeterschießen zu erkennen. Allein beim Public Viewing im Deutsche Bank Park fieberten 50.000 Adlerträgerinnen und Adlerträger mit.

Supermärkte schlossen in der Mainmetropole früher, einige Bäcker und Metzger teilten ihren Kunden mit, am Donnerstag erst um die Mittagszeit zu öffnen, Betriebe gewährten ihren Mitarbeitern zwei Tage bezahlten Sonderurlaub, Schulen bastelten an Lösungen für späteren Unterrichtsbeginn, um Kindern die Teilnahme an der RTL-Übertragung um 21 Uhr zu ermöglichen.

kicker

Vor den Fernsehern der Republik sahen im Schnitt 8,99 Millionen Menschen das Spektakel der Traditionsvereine. Die Ekstaste in der Innenstadt bleibt ein Kapitel für sich.

8. Aus der Properspektive

So viel zur Retrospektive. Die Zukunft, sozusagen aus der Properspektive betrachtet, durfte sich danach auf Frankfurter Europokalfeste auf der größtmöglichen Bühne freuen: erstmals für die Eintracht in der UEFA Champions League. Auch diese bis zum Achtelfinale noch frischen Eindrücke gehören indirekt dazu. Genauso wie die Sehnsucht nach (noch) mehr solcher Erlebnisse.

Dahingehend bleiben 2022/23 keine drei Wochen mehr, um sich für den Europapokal zu qualifizieren. Allerspätestens am 3. Juni, wenn im DFB-Pokalfinale der letztjährige Halbfinalgegner der Rangers wartet. Gegen Leipzig geht es nicht nur um die sichere Teilnahme an der UEFA Europa League, sondern einmal mehr um Silberware.

Wie vor einem Jahr.