Deutscher Meister 1959. DFB-Pokalsieger 1974, 1975, 1981, 1988 und 2018. UEFA-Cup-Gewinner 1980.
Champion der UEFA Europa League 2022!
Seit Rafael Santos Borré am 18. Mai vor einem Jahr kurz vor Mitternacht den alles entscheidenden Elfmeter an Allan McGregor vorbei in die Maschen schweißte, ist nicht nur der Briefkopf von Eintracht Frankfurt um eine Errungenschaft reicher. Überhaupt war die Einheit aus dem Herzen von Europa die erste Mannschaft aus Deutschland seit dem FC Schalke 04 1997, die diese Trophäe respektive die Vorgängerversion UEFA-Pokal erringen konnte. So viel ist sicher: Diese 131 Minuten in Sevilla gegen den Rangers FC sind nicht allein vom Rasen des Estadio Ramón Sánchez Pizjuán aus zu betrachten.
1. Für den Jürgen
Unter das Adlerdach kehrte der Europapokal erstmals seit 42 Jahren zurück. Zuvor das bis dato einzige Mal war ein solcher Coup der Elf von Friedel Rausch gelungen. Fred Schaub traf seinerzeit im Rückspiel gegen Borussia Mönchengladbach zum entscheidenden 1:0 und elektrisierte das Waldstadion. An Ort und Stelle steppte auch in der Nacht auf den 19. Mai der Bär – und eine Etage höher spendete, ganz sicher, der wenige Monate zuvor verstorbene Jürgen Grabowski seinen Thronfolgern Applaus. Grabi hatte das internationale Finish damals verletzungsbedingt verpasst, war aber zuvor nicht nur als Kapitän und Spielmacher und danach Zeit seines Lebens eine zentrale Figur der Adlerträger.
2. Helden von heute
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Menschen – sagen wir nach 42 Jahren dann 2064 – nicht mehr jedes Mosaik dieser Truppe in vergleichbarer Erinnerung behalten werden. Klar, da wäre Kevin Trapp mit seinem gehaltenen Elfmeter gegen Aaron Ramsey und der Jahrhundertparade gegen Ryan Kent in der 118. Minute. Natürlich Borré, gewissermaßen der Schaub der Gegenwart.
6:5 nach Elfmeterschießen gegen den Rangers FC. Trapp hält einen Elfer, Borré verwandelt den entscheidenden.
Martin Hinteregger, der mit seinem Last-Minute-Kopfball im Achtelfinalrückspiel gegen Real Betis Balompié das Weiterkommen entschied; sich im Halbfinale gegen den West Ham United FC aber verletzte und die letzten K.-o.-Duelle zum Zuschauen gezwungen war. Weshalb jener Titelgewinn auch heimliche Helden hervorbrachte wie Almamy Toure, der bis zur letzten Sekunde in der Hitze Andalusiens seinen Mann stand. Von Camp-Nou-Schreck Filip Kostic oder Sebastian „Kennt-kein-Schmerz“ Rode ganz zu schweigen...
Deshalb für heute und die Nachwelt nochmal alle Europa-League-Adler 2021/22 auf einen Blick
Tor | Abwehr | Mittelfeld | Angriff | Trainerteam |
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Kevin Trapp | Evan Ndicka | Kristijan Jakic | Sam Lammers | Oliver Glasner |
Jens Grahl | Stefan Ilsanker | Ajdin Hrustic | Rafael Santos Borré | Michael Angerschmid |
Diant Ramaj | Martin Hinteregger | Djibril Sow | Ragnar Ache | Ronald Brunmayr |
Jannik Horz | Almamy Toure | Filip Kostic | Jens Petter Hauge | Jan Zimmermann |
Timothy Chandler | Daichi Kamada | Goncalo Paciencia | ||
Danny da Costa | Sebastian Rode | |||
Christopher Lenz | Makoto Hasebe | |||
Tuta | Aymen Barkok | |||
Erik Durm | Jesper Lindström | |||
Ansgar Knauff |
3. Sportlich betrachtet
4. Das Drama am Siedepunkt
Ein Finale, das keinen Verlierer, weder auf dem Rasen noch auf den Rängen, verdient hat, sucht seinen Sieger im Elfmeterschießen. Die Platzwahl beginnt erstmal so semi. Die Rangers gewinnen und wählen als Strafraum für den Showdown den vor ihrer blauen Wand. Die ersten drei Versuche jedes Teams sitzen, auf Frankfurter Seite zeigen Lenz, Hrustic und Kamada keine Nerven...
Eine Eiseskälte, die beim Publikum im weiten Rund kaum beim besten Willen nicht auszumachen ist. Schwenk auf die Pressetribüne, auf der das EintrachtFM-Duo Lars Weingärtner und Marc Hindelang zwischen Hoffen und Bangen kommentiert. Lautstärkeregler hoch!
5. Bilder im Kopf
18. Mai 2022, 23.54 Uhr. Ein Schuss, ein Moment, an dem die Eintracht-Welt stillsteht.
Viele wussten es ja vorher, noch mehr benötigten aber noch Tage, vielleicht Wochen und Monate, um wirklich zu greifen, begreifen, was Spieler, Trainer- wie Betreuerteam, Fans und Funktionäre gemeinsam vollbracht hatten. Was folgte, war nicht nur eine kurze Nacht in Spanien, eine Mainmetropole im Ausnahmestadion und eine Region, teilweise Nation, im Freudentaumel. Sondern nicht zuletzt Erinnerungen und Bilder für die Ewigkeit. Manche erblickten schneller das Licht der Welt, andere fanden nachgelagert den Weg in die Öffentlichkeit.
Ob die Vernissage mit fleischgewordenen Kunstwerken, die am 23. März ins Kino gekommene zweistündige Dokumentation „In diesem Jahr – der Film“ oder das gleichnamige hochwertige Buch „In diesem Jahr – 56 Stunden mit Europas bester Mannschaft“ mit 236 Fotomotiven auf 244 Seiten: Wer jene Maitage Anno ‘22 irgendwann vergessen haben sollte, dann nur mutwillig.
„In diesem Jahr – der Film“
Rezension
Das Ende ist bekannt. Jeder weiß, wie es ausgegangen ist. Bereits bevor die ersten Szenen der insgesamt 120 bewegenden Minuten von „In diesem Jahr – der Film“ über die Kinoleinwand flimmern. Die Erinnerungen sind lebendig. Wenn man es mit der Frankfurter Eintracht hält, dann noch lebendiger. Wo war ich während des Spiels, sei es das Finale von Sevilla, der Einzug ins Endspiel oder die magische Nacht von Barcelona – die Antwort kommt prompt. Doch obwohl man weiß, was passiert, lässt das den Spannungsbogen im Verlauf der zwei Stunden nicht einknicken. Im Gegenteil.
Wie der Film die Reise der Adlerträger zum Erfolg in der UEFA Europa League erzählt, macht neugierig. Gespannt und aufgeregt, bis Rafael Borré endlich den entscheidenden Strafstoß entschlossen ins von sich aus gesehen obere linke Eck zimmert und die gigantische Party der gesamten Adlerfamilie – wo auch immer sie am Finaltag oder in den 24 Stunden danach war – beginnt.
Jeder hat seinen ganz besonderen Moment auf diesem Weg zum größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte. Spieler, Trainer, Vorstand, Mitarbeiter, Fans – jeder. Rückblickend ein Weg wie in Trance. Aber auch steinig, teils sehr steinig, wie es Cheftrainer Oliver Glasner, gemeinsam mit Sportvorstand Markus Krösche und vielen, vielen anderen Architekt dieser Story, erzählt. So beginnt der Film nicht mit goldenem Konfetti und Trophäen, sondern mit Ernüchterung. Das Verspielen der Champions-League-Qualifikation vor leeren Rängen während der Coronapandemie, der große Umbruch und die damit einhergehenden Sorgen nach dem Weggang von Adi Hütter und Fredi Bobic, diese Tristesse, Fußball ohne Fans erleben zu müssen. Doch diesem Anfang, dem sportlichen Scheitern und dem Restart, wohnte ein Zauber inne.
Startschuss für einen Trip durch die Saison 2021/22, der die gesamte Palette an Emotionen bereithält – und für Gänsehaut im Kinosessel sorgt. Beginnend mit sportlichen Rückschlägen und einer nicht immer einfachen Findungsphase, über den Wendepunkt im Norden Münchens und die erfolgreiche Europapokal-Gruppenphase bis hin zur stimmungsgeladenen Fanrückkehr sowie K.-o.-Spielen, die man gerne noch einmal durchlebt.
Bis zum Stimmungssiedepunkt vom 18. Mai 2022 liefert „In diesem Jahr – der Film“ tiefe Einblicke und Schlüssellochperspektiven. Einblicke ins Innerste des Klubs. Kabine, Mannschaftsbus, Flugzeug oder das ProfiCamp im Deutsche Bank Park. Einblicke in die Seele und Gefühlswelt der Spieler und Verantwortlichen. Ängste, Erleichterung, Kummer und Freude. Ernst, Lachen, Tränen und Frotzeleien. Insgesamt 29 Interviewpartner aus unterschiedlichen Bereichen des Klubs blicken zurück, darunter natürlich zahlreiche Spieler. Und sie enthüllen auch Kurioses. Wie den Aberglaube um Torwarthandschuhe, die eine Tasche selten von innen sehen, Klebestreifen auf Trinkflaschen, versteckte Talente als Kameramann oder der Zufall um das weiße Ausweichtrikot, das letztlich zum Symbol des Erfolgs wurde.
Ein Erfolg, der die unterschiedlichsten Formen des Jubelns möglich machte, welche die Kameras festgehalten haben. „Das Gefühl glücklicher Menschen“, so Kevin Trapp. Was nötig war, um diese geballten Emotionen zu entfachen und nach 42 Jahren wieder einen Europapokal zurück an den Main zu holen; was es brauchte, um die Sonnenseite des Fußballs zu betreten, erzählt „In diesem Jahr – der Film“.
So viele Gänsehautmomente wie die Ankunft in Frankfurt, der Autokorso, die Party auf dem Römerberg, Glasners Diver, die Bierdusche auf der Pressekonferenz nach dem Endspiel auf der Hand liegen mögen, so unterschiedlich mögen Ort, Wahrnehmung und Gedanken bei jedem Einzelnen im Augenblick des Triumphs gewesen sein. Nicht zuletzt „Die magische Nacht von Sevilla“ hat nochmal ganz neue Perspektiven eröffnet.
6. Die magische Nacht von Sevilla
Denn diese erstmalige Audio-Dokumentation hat es geschafft, die Tage rund um das Europa-League-Finale mit einer nie da gewesenen Nähe einzufangen und alle Gefühle auf einer nochmal anderen Ebene zu vermitteln.
7. Für das Frankfurter Herz in der Frankfurter Brust
Freilich hätten die Hessen allein gemessen an Ticketanfragen die Endspielstätte mehr als zwei, drei Mal füllen können. Die allgegewärtige Begeisterung und Energie war schließlich nicht erst nach dem 5:4 nach Elfmeterschießen zu erkennen. Allein beim Public Viewing im Deutsche Bank Park fieberten 50.000 Adlerträgerinnen und Adlerträger mit.
Supermärkte schlossen in der Mainmetropole früher, einige Bäcker und Metzger teilten ihren Kunden mit, am Donnerstag erst um die Mittagszeit zu öffnen, Betriebe gewährten ihren Mitarbeitern zwei Tage bezahlten Sonderurlaub, Schulen bastelten an Lösungen für späteren Unterrichtsbeginn, um Kindern die Teilnahme an der RTL-Übertragung um 21 Uhr zu ermöglichen.
kicker
Vor den Fernsehern der Republik sahen im Schnitt 8,99 Millionen Menschen das Spektakel der Traditionsvereine. Die Ekstaste in der Innenstadt bleibt ein Kapitel für sich.
8. Aus der Properspektive
So viel zur Retrospektive. Die Zukunft, sozusagen aus der Properspektive betrachtet, durfte sich danach auf Frankfurter Europokalfeste auf der größtmöglichen Bühne freuen: erstmals für die Eintracht in der UEFA Champions League. Auch diese bis zum Achtelfinale noch frischen Eindrücke gehören indirekt dazu. Genauso wie die Sehnsucht nach (noch) mehr solcher Erlebnisse.
Dahingehend bleiben 2022/23 keine drei Wochen mehr, um sich für den Europapokal zu qualifizieren. Allerspätestens am 3. Juni, wenn im DFB-Pokalfinale der letztjährige Halbfinalgegner der Rangers wartet. Gegen Leipzig geht es nicht nur um die sichere Teilnahme an der UEFA Europa League, sondern einmal mehr um Silberware.
Wie vor einem Jahr.