11.05.2020
Historie

„Wir waren eine Pokalmannschaft“

Anlässlich des UEFA-Pokalsieges am 21. Mai 1980 kommen in dieser Woche die Helden von damals zu Wort. Den Anfang macht Bernd Nickel.

Er ist unter dem Namen „Doktor Hammer“ bekannt geworden. Bernd Nickels Markenzeichen war der stramme Schuss, der die Torhüter reihenweise zur Verzweiflung brachte. Zumal neben toller Schusstechnik auch noch eine große Portion Schlitzohrigkeit hinzukam. Kein anderer hat beispielsweise im alten Waldstadion von jeder Spielfeldecke einen Eckball direkt ins Tor getreten. Er hat in 16 Spielzeiten in Folge Einsätze für die Adlerträger verzeichnen können, ist mit 141 Treffern der torgefährlichste Mittelfeldspieler der Bundesligahistorie und in der internationalen Eintracht-Statistik zwei Mal auf Rang zwei zu finden – bei der Anzahl der Einsätze (42) hinter Karl-Heinz Körbel (48) sowie der Anzahl der Tore gleichauf mit Anthony Yeboah (je zwölf) hinter Bernd Hölzenbein (18).

Bernd Nickel über...

...seine beiden Achillessehnenrisse, die ihn vor der Saison 1979/80 für rund neun Monate außer Gefecht gesetzt hatten: Nach dem ersten Riss habe ich einfach viel zu früh angefangen. Ich musste auf einem gefrorenen Hartplatz trainieren, da war die Sehne nach 30 Sekunden wieder durch. So konnte ich ein Comeback erst im Mai 1979 feiern. In der Sommerpause hatte ich mir dann viel Zeit gelassen, habe eine Woche auf Gran Canaria Sonderschichten im Sand eingelegt. Das hatte meinem Bein gutgetan, ich konnte wieder richtig fit in die Saison starten.

…seine erneute schwere Verletzung im Achtelfinalheimspiel gegen Feyenoord Rotterdam Ende November: Da hatte ich mir ein Band im Knie gerissen. Ich wollte eigentlich weiterspielen, aber dann habe ich gemerkt, dass ich den Ball nicht mal mehr über vier Meter passen konnte. Das Bein machte einfach nicht mehr mit. Ich wurde operiert und fiel bis zum Winter erneut aus.

…sein entscheidendes Tor gegen Dinamo Bukarest im Rückspiel der zweiten Runde in der 93. Minute, wodurch das Weiterkommen gesichert wurde: Eigentlich hatten wir die Partie schon verloren. Doch dann gelang Bernd Hölzenbein in allerletzter Minute sein berühmtes Kopfballtor im Sitzen, das uns in die Verlängerung brachte. Dann kam die 93. Minute, ich zog fast von der linken Eckfahne mit links flach ab. Der Ball zischte ins kurze Eck, während der starke Torhüter mit einer Flanke gerechnet hatte. Da konnte man ihm keinen Vorwurf machen, zumal er zuvor bis auf den Fehler vor Bernds Tor wahnsinnig gehalten hatte. Besonders bei unserem 0:2 in Bukarest. Da sah es sehr trübe für uns aus, entsprechend groß war die Freude nach dem 3:0 im Rückspiel.

…die Halbfinalspiele gegen die Bayern: In München beim 0:2 durfte ich mal wieder nicht spielen. Beim Rückspiel war ich dann dabei, schoss beim 5:1 nach Verlängerung zwar kein Tor, konnte aber drei vorbereiten. Klar, dass man dann auch zufrieden ist und wir uns sehr gefreut haben, erneut einen Rückstand nach dem Hinspiel mit solch einem Resultat zu drehen.

…den 21. Mai 1980: Wir hatten zwar in Mönchengladbach das erste Finale mit 2:3 verloren, aber wir waren die bessere Mannschaft gewesen. Entsprechend optimistisch sind wir ins Rückspiel gegangen. Die packen wir, dachte jeder. Aber dann wurde es eine ganz enge Kiste. Unser 1:0 war eigentlich glücklich, denn in Frankfurt waren wir nicht die bessere Mannschaft.

Mit 20 Freunden auf einer „traurigen Feier“

…den Stellenwert des Titels in Frankfurt: Also, das war nicht wie 1959 bei der Meisterschaft, wo die Stadt voll gewesen sein muss. Es war auch nicht wie beim vergangenen Triumph im DFB-Pokal mit der Kovac-Truppe gegen die Bayern. Es war eher wie ein Sieg im DFB-Pokal, wie wir ihn ja auch 1974 und 1975 hatten feiern können. Wir waren halt irgendwie eine Pokal-Mannschaft.

…die Feier nach dem Pokalsieg: Das war die traurigste Feier, die ich je mitgemacht habe. Keinerlei Stimmung in der Isenburger Schneise. Die Anwesenden hatten sich in drei Gruppen aufgeteilt. Links saß Trainer Friedel Rausch mit Familie und Freunden, mit ihm habe ich irgendwie nicht zusammengepasst. Ich saß natürlich auf der anderen Seite. Alle in normalen Straßenklamotten, keiner im feinen Zwirn. Ich habe dann 20 Freunde mit rein genommen, das hat niemand kontrolliert.

…die Prämie: Für den Erfolg in den beiden Finalspielen hat jeder 15.000 oder 18.000 Mark bekommen. In den Runden davor wurden wir an den Zuschauer-Einnahmen beteiligt. Aber damals strömten die Leute nicht so ins Waldstadion. Man darf nicht vergessen: Wenn es geregnet hat, sind nur die 500 Leute auf der Ehrentribüne nicht nass geworden. Das ist mit dem heutigen Komfort nicht zu vergleichen.

…Bernd Hölzenbeins „Pokaldiebstahl“: Das habe ich überhaupt nicht mitbekommen. Aber ich hatte den DFB-Pokal 1975 sogar eine ganze Woche bei mir zu Hause. Da schüttete ich dann zwei Flaschen Sekt rein, ließ ein paar Freunde daraus trinken. Die hatten nicht schlecht gestaunt.

…das geniale Trio Grabowski, Hölzenbein, Nickel: Wir sind noch heute befreundet. Damals hatte jeder seine besonderen Stärken, keiner war neidisch auf den anderen. Klar, der Grabi war unser Kapitän, hatte als Weltmeister natürlich ein viel größeres Ansehen als ich. Das störte mich überhaupt nicht, denn trotzdem konnte ich auf dem Platz meine Meinung äußern. Eigentlich hätten wir es draufgehabt, auch mal Deutscher Meister zu werden. Aber irgendwas klappte dann halt nicht. Wir gewannen ein Spitzenspiel, um dann beim Letzten zu verlieren. Das war sehr ärgerlich. Umso schöner ist es natürlich, in dieser Zeit bei der Eintracht dennoch vier Titel gewonnen zu haben.