Die Freude stand Adi Hütter nach dem späten 2:1-Sieg bei Borussia Dortmund ins Gesicht geschrieben. Doch es war nicht der einzige Erfolg, über den der Fußballlehrer sprechen wollte und so lenkte Hütter auf der Pressekonferenz die Blicke zunächst in Richtung Brentanobad: „Erstmal Glückwunsch an unsere Frauen zum Einzug ins DFB-Pokalfinale.“
Vergleiche zum K.-o.-Charakter des Aufeinandertreffens mit Borussia Dortmund würden dabei sicher hinken, auch von einem Finalcharakter sahen sich die Hessen nach den Saisonzählern 48 bis 50 weit entfernt. „Die Spieler haben sich in der Kabine unglaublich gefreut, aber wir haben noch nichts erreicht“, bemerkte Hütter angesichts noch sieben ausstehenden Runden. Nichtsdestotrotz blieb dem Österreicher nicht verborgen: „Wir haben eine außergewöhnliche Punktausbeute.“ Genau genommen die beste der Vereinsgeschichte nach 27 Spieltagen. Auch die weiterhin erst drei Niederlagen sind zu diesem Zeitpunkt einer Spielzeit alleiniger Frankfurter Bestwert. Bemerkenswert vor allem, dass die Adlerträger nun im 22. Bundesligaspiel hintereinander mindestens einen Treffer erzielen konnten, was die längste Serie seit 1976/77 bedeutet. Während jenem Spieljahr waren es sogar 27 Partien.
Zweieinhalb Topscorer
Dahingehend konnten sich die Gäste auch am Karsamstag einmal mehr auf zwei, gewissermaßen eher drei, Konstanten verlassen.
Zum einen Siegtorschütze André Silva, der in der 87. Minute zum entscheidenden 2:1 eingeköpft hatte. Mit nun 22 Saisontoren hat die Nummer 33 nicht nur beispielsweise mehr Treffer auf dem Konto als Schalke und Bielefeld in Summe, sondern nach seinem 50. Bundesligaspiel insgesamt nun 34 Buden. Eine Marke, die in diesem Zusammenhang seit Gründung der Bundesliga nur acht Akteure knackten und in seinen Anfangsjahren selbst Gerd Müller verwehrt geblieben ist. Überhaupt muss der Stürmer die großen Vergleiche nicht scheuen. Allein im Kalenderjahr 2021 trafen in Europas Top-Fünf-Ligen nur Robert Lewandowski (18) und Lionel Messi (16) häufiger als der Portugiese (13), der derweil immerhin Landsmann Cristiano Ronaldo (12) hinter sich lässt.
Dabei profitierte der Stürmer in schöner Regelmäßigkeit von der Vorarbeit von Filip Kostic. Und damit zum zweiten Mosaikstein. So Silva in der nationalen Torschützenliste auf Rang zwei liegt, gilt auch der Serbe mit elf Assists als zweitbester Vorlagengeber hinter Thomas Müller (15). Das 2:1 war bereits die siebte direkte Vorlage des 28-Jährigen für Silva. Eine Harmonie, wie sie auch in Dortmund zu bestaunen war. Kostic spielte so oft auf Silva wie sonst nur auf Evan Ndicka (vier Mal). Selbiges gilt auch für Luka Jovic, der seinen Sturmpartner genauso häufig bediente und umgekehrt fünf Pässe vom 25-Jährigen erhielt. Allesamt individuelle Höchstwerte. „Schon mit der Aufstellung haben wir gezeigt, dass wir mutig sind und haben das dann auch auf dem Platz gezeigt“, bekräftigte Hütter die Signalwirkung, auch beim Champions-League-Viertelfinalisten auf Angriff zu setzen.
Einen Scorer hatten die Adler dabei nicht zwangsläufig auf dem Schirm, obwohl es fast naheliegend gewesen wäre: Diesen ominösen Mister Eigentor, nach Silva sozusagen der erfolgreichste Schütze in dieser Spielzeit. Und damit zu Punkt drei. Das frühe 0:1, als Nico Schulz seinem Team quasi verfrüht ein Ei ins Nest legte, ebenfalls nach einer Flanke von Kostic, war nun der sechste Einschuss unter Mithilfe des Gegners. Alle anderen Ligakontrahenten durften über maximal drei Eigentore des Gegners jubeln. Davon, dass damit schon jetzt ein neuer Bundesligarekord einhergeht, ganz zu schweigen.
Auf derlei Unterstützung konnten die Schwarz-Gelben gleichwohl kaum zählen, zu aufmerksam agierten die Adlerträger über 90 Minuten im Verbund. In einer Besetzung, die sich nach der Einwechslung von Daichi Kamada für Amin Younes nach der Pause in der vom Hinspiel (1:1) allenfalls auf drei Positionen unterschied: Jovic für Aymen Barkok sowie Stefan Ilsanker und Lucas Silva Melo anstelle von David Abraham und Martin Hinteregger. Gerade die wieder umformierte Abwehrdreierkette holte sich dabei ein Sonderlob ab, was an sich gar nicht so einfach war. „Man könnte so viele Spieler herausstellen. Aber ich möchte kurz einen Schwenk auf Stefan Ilsanker machen: Er war überragend! Was er weggeputzt, wie er Haaland im Griff gehabt hat. Oder wenn ich Tuta sehe, mit welcher Abgeklärtheit und Ruhe er Konter unterbunden hat, weil er vorab antizipiert hat, macht das wirklich Spaß“, bekundete Sportvorstand Fredi Bobic, der im selben Atemzug folgenden Zusammenhang herstellte: „Das funktioniert nur, wenn man Erfahrene neben sich hat. Ilse hat Evan und Tuta unheimlich viel Halt gegeben.“ „Für Tuta und Evan ist es unglaublich wichtig, dass sie genau solch erfahrene Spieler wie Hinti, Makoto oder Stefan neben sich haben“, pflichtete Hütter dieser Einschätzung bei.
Säulen und Propheten
Ilsanker verzeichnet dabei unter allen Fußballern die meisten klärenden Aktionen (neun), während Nebenmann Tuta mit 17 die mit Abstand meisten abgefangenen Bälle im Dortmunder Fußballtempel verbuchte. „Ich denke, ich habe es in der Zentrale ganz gut gemacht. Wenn Hinti ausfällt, springe ich gerne für ihn ein. Ich freue mich einfach, dass ich der Mannschaft helfen kann und wir Spiele gewinnen“, gab sich der hinterste Prellbock hinterher bescheiden und so entspannt wie zuvor in engen Situationen auf dem Rasen. „Als mein Tor aberkannt wurde, war ich nicht enttäuscht. Denn ich wusste, dass wir noch eines schießen werden. So ist es gekommen“, meinte der 31-Jährige, ohne eine Miene zu verziehen. Prophet Ilsanker.
Auch Kevin Trapp, mit vier Paraden gewohnt verlässlich und kaum zu überwinden, hatte sich im Vorfeld mit Erfolg als Wahrsager versucht: „Ich habe vor dem Spiel gesagt, dass wir mal diesen Lucky Punch brauchen. Am Ende war es in der 87. Minute gefühlt so.“ Was der Nationalkeeper in erster Linie mit dem eigenen Auftreten verband: „Wir haben genau das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben: Mutig auftreten und vorne pressen. Also anders als in Leipzig, als wir vielleicht zu viel Respekt gehabt haben. Respekt hatten wir auch vor Dortmund, wollten aber nichtsdestotrotz zeigen, was uns starkmacht.“
Dazu gehörte auch, sich nicht vom Ausgleich unmittelbar vor dem Pausentee aus der Fassung bringen zu lassen, als Mats Hummels wie bereits beim bisher letzten Auswärtssieg der Eintracht in Dortmund vor elf Jahren das 1:1 hergestellt hatte. „Die Eintracht hat hier schon lange keine drei Punkte mehr geholt, das macht die Sache umso schöner. Für uns war wichtig, die erste Viertelstunde nach der Pause zumindest dagegenzuhalten, kein Gegentor zu kassieren und wegen des Ausgleichs nicht den Kopf zu verlieren“, erklärte der gegen seinen Ex-Klub als Kapitän angetretene Sebastian Rode. Oder um es wie Bobic auf den Punkt zu bringen: „So habe ich die Jungs in Dortmund noch nie spielen sehen.“
Die Einsatzfreude hatte bereits mit dem Seitenwechsel ein kleines Osteropfer zur Folge, als Amin Younes, bemerkenswert konsequent die Zone um die Mittellinie beackernd, nicht mehr weitermachen konnte. „Amin hat gut beim Anlaufen unterstützt. Er hat eine Verletzung angedeutet, dann haben wir ihn runtergenommen, um kein Risiko einzugehen“, so Hütter zum Spielertausch.
Entsprechend werden sich auch die nächsten Trainingstage gestalten. „Die Nationalspieler haben über Ostern zwei Tage frei. Der Rest hat einen normalen Ablauf“, skizzierte Hütter nach Rücksprache mit der medizinischen Abteilung den Fahrplan für die kommende Woche. Also neben Younes und dem noch nicht spielfähigen Hinteregger Trapp, Schubert, Kostic, Jovic, Silva, Ilsanker, Kamada, Barkok, Zuber und Sow. Was ganz im Sinne der Profis ist. „Jetzt sollen die Spieler erstmal die Beine locker bekommen. Das nächste Topspiel gegen Wolfsburg steht vor der Tür“, blickt Bobic wie alle bereits auf die nächste wichtigste Aufgabe gegen den Tabellendritten. Denn wie Rode mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Vorsicht weiß: „Sieben Punkte Vorsprung sind ein Wort, aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Nächste Woche gegen Wolfsburg müssen wir mindestens genauso eine Leistung abrufen, um etwas mitzunehmen.“ Es wäre so etwas wie die nächste Zündstufe.