19.03.2021
Historie

„Fühle mich hier pudelwohl“

Jerome Polenz spricht über sein erstes Jahr bei der Eintracht, den Übergang von der Theorie in die Praxis, die Arbeit als Trainer der U15 und das Spiel gegen seinen Ex-Klub Union Berlin.

Jerome, aus aktuellem Anlass: Die U15 durfte am vergangenen Wochenende erstmals seit Oktober wieder ein Fußballspiel bestreiten. Wie lief der Test gegen die TSG Hoffenheim?
Nach dieser langen spiel- und teilweise auch trainingsfreien Zeit ging es für die Jungs in erster Linie darum, wieder Minuten in die Beine zu kriegen. Jeder Einzelne hat über dreimal 30 Minuten ausreichend Einsatzzeit erhalten. Wir haben gemerkt, dass Hoffenheim schon länger wieder im Trainings- und Testspielbetrieb ist, deswegen war das Ergebnis [1:5; Anm. d. Red.] in diesem Fall zweitrangig. Unsere Abläufe waren etwas eingerostet, das ist ganz normal. Am wichtigsten ist, dass die Jungs wieder ein gutes Gefühl bekommen. Dazu dient auch die nächste Partie am Sonntag gegen Mainz.

Bevor du mit Thomas Broich im Sommer am Riederwald in den Trainerbereich eingestiegen bist, wart ihr der Öffentlichkeit vor allem als Taktikexperten aus dem Fernsehen bekannt. Hast du dir den Schritt von der Theorie in die Praxis so vorgestellt?
Auf jeden Fall! Es ist spannend zu sehen, wie sich unsere Ideen auf dem Platz umsetzen lassen. Ich bin ehrlich gesagt positiv überrascht und von den Qualitäten unserer Spieler begeistert. Die Frankfurter Jungs sind wirklich etwas Besonderes. Ich behaupte, dass in unserer Region die Dichte an Talenten so hoch ist wie vielleicht sonst nur in Hotspots wie Berlin und Hamburg. Alle sind enorm wissbegierig, lernwillig und setzen die Dinge sehr schnell um.

War das der Grund, weshalb du dich für die Eintracht als Einstiegsmöglichkeit entschieden hast?
Sicher nicht der ausschlaggebende, weil mir diese Tatsache vorher nicht so bewusst war. Zumal ich auch sagen muss, dass die Jahrgänge unter uns sehr vielversprechend sind. Entscheidend waren aber vor allem die Gespräche mit Andreas Möller, Matthias Borst und Sebastian Zelichowski [Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, Leiter Spielkonzeption und Referent des Vorstands; Anm. d. Red.]. Das hat mir von Anfang an ein gutes Gefühl gegeben.

Wie hast du die Eintracht und die Stadt Frankfurt seither kennengelernt?
Frankfurt ist super! Ich finde hier viel der Kultur und Mentalität aus meiner Heimatstadt Berlin wieder und fühle mich pudelwohl. In der Rhein-Main-Region lebt ein spezieller Schlag, mit dem ich mich total identifizieren kann. Dazu gehört auch, dass jeder, mit dem ich mich unterhalte, Eintrachtler durch und durch ist. Diese Euphorie über den Verein hinaus findet sich an anderen Standorten selten.

Und innerhalb des Klubs?
Auch im sportlichen Bereich ist der Austausch bemerkenswert, was ich ausdrücklich nicht ausnahmslos auf den Fußball beziehe. Dadurch, dass bei der Eintracht so viele Sportarten beheimatet sind, kommen wir leicht mit anderen Bereichen in Berührung, die Grenzen sind fast fließend. Letztens konnten wir uns bei den Basketballern Tipps zum Thema Blocken abholen. Diese Einblicke und Möglichkeiten, voneinander zu lernen, bilden einen echten Mehrwert. Als weiteres Beispiel dürfen wir auch die Tennishalle nutzen. Der Zusammenhalt untereinander ist insgesamt sehr ausgeprägt.

Diesen Eindruck vermitteln auch unsere Profis, die am Samstag auf deinen Ex-Klub Union Berlin treffen. Welche Erinnerungen verbindest du mit deiner Zeit an der Alten Försterei?
Berlin ist meine Heimatstadt, deshalb war es zunächst schön, in der Nähe der Familie sein und gleichzeitig meinem Beruf nachgehen zu können. Auch wenn es nicht meine erfolgreichste Phase als Profi war, bin ich vom Verein und seinem Umfeld angetan. Alle Beteiligten verfolgen einen klaren Plan. Es ist toll zu sehen, was sich dort entwickelt, auch infrastrukturell. Die riesen Fanbase ist natürlich ein Faustpfand. Dem steht die Eintracht in nichts nach, was auch ein Grund ist, weshalb ich mich hier gut aufgehoben fühle.

Jerome Polenz war von 2010 bis 2012 für Union Berlin am Ball.

Was zeichnet die Eisernen in deinen Augen aus?
Union leistet über Jahre sehr gute Arbeit, nicht erst seit dem Aufstieg. Sie haben sich kontinuierlich weiterentwickelt, ohne in Größenwahn zu verfallen. Von der Dritten ging es in die Zweite Liga, nachdem sie sich dort über längere Zeit etablieren konnten, schließlich in die Bundesliga. Damit einhergeht, dass sie kompetente Personen an der Spitze haben, die vernünftig wirtschaften.

Unter sportlichen Gesichtspunkten gefragt: Auf was muss sich die Eintracht einstellen?
Auf ein extrem schwieriges Spiel. Union zeichnet sich vorrangig durch kompakte Defensivarbeit aus. Ich glaube, kein Team spielt gerne gegen sie. Darüber hinaus setzen sie gekonnt offensive Nadelstiche und sorgen gerade über Max Kruse, wenn er gesund und fit ist, immer wieder für Gefahr. Union steht auch für schnelle Konter, schnelle Abschlüsse und gute Standardsituationen. Gerade wenn die Frankfurter Außen in der Vorwärtsbewegung sind, kann es bei Ballverlusten gefährlich werden. Deswegen sind die richtige Abstimmung, Balance und eine resolute Restverteidigung wichtig. Dass die Mannschaft das verinnerlicht hat, hat sie in dieser Saison regelmäßig gezeigt. Das Team hat eine super Entwicklung genommen, gerade auch spielerisch. Sonst würden sie nicht dort stehen, wo sie stehen.

Union ist in der aktuellen Verfassung ein ordentliches Brett. Nichtsdestotrotz präsentiert sich die Eintracht seit dem Jahreswechsel extrem stabil und ist einfach im Flow.

Jerome Polenz

Adi Hütter wird wegen Sperren und Verletzungen ordentlich an der Aufstellung puzzeln müssen. Wie verfolgst du die Situation aus taktischer Sicht?
Unabhängig von der Grundordnung bergen mehrere Umstellungen natürlich das Risiko, dass manche Abläufe nicht komplett sitzen. Umso wichtiger wird es daher sein, aus einer festen Struktur heraus zu agieren und vor allem in den Umschaltmomenten hellwach zu sein. Da mache ich mir aber überhaupt keine Sorgen – Adi Hütter und sein Trainerteam beweisen Jahr für Jahr, dass sie mit kniffligen Situationen sehr gut umgehen können.

Wo verfolgst du das Spiel und wie geht’s aus?
Live sehen kann ich es leider nicht, weil wir parallel selbst trainieren. Aber ich drücke uns natürlich die Daumen und bin überzeugt, dass wir gewinnen. Doch ich glaube, dass es knapp ausgehen wird, Union ist in der aktuellen Verfassung ein ordentliches Brett. Nichtsdestotrotz präsentiert sich die Eintracht seit dem Jahreswechsel extrem stabil und ist einfach im Flow.