18.03.2021
Bundesliga

Im Windschatten

Union Berlin überzeugt auch im zweiten Bundesligajahr mit Defensivstärke und darf plötzlich vom internationalen Wettbewerb träumen.

Situation: Erweiterter Horizont

Angesichts 38 Punkten und Tabellenplatz sieben nach 25 Spieltagen eröffnen sich zumindest aus Sicht mancher Spieler ganz ungewohnte Ziele. Nachdem zuvor vor allem vom angestrebten Klassenerhalt die Rede war, denkt etwa Max Kruse spätestens seit dem 2:1-Erfolg gegen den 1. FC Köln am vergangenen Wochenende größer: „Europa League, da hätte ich Bock drauf.“ Bei vier Zählern Rückstand auf Rang fünf rechnerisch kein allzu unrealistisches Szenario.

Geht es nach Max Kruse und Co., darf der FCU-Bus nächste Saison gerne durch Europa touren. Aber er muss nicht.

Denn in ihrer zweiten Saison im Oberhaus sind die Eisernen plötzlich in ganz neuen Tabellenregionen unterwegs. Obwohl die Berliner aus den ersten vier Rückrundenpartien nur zwei Zähler holten. Zuletzt blieb der Hauptstadtklub jedoch fünf Spiele in Folge ungeschlagen – gegen Schalke (0:0), Hoffenheim (1:1) und Bielefeld (0:0) gab es jeweils ein Remis, in Freiburg (1:0) und am vergangenen Wochenende gegen Köln (2:1) konnte der FCU dreifach punkten. Gegen die Domstädter siegte Union erstmals in dieser Saison nach einem Rückstand. „Ich bin stolz, dass wir erstmals einen Rückstand drehen konnten. Da gebührt der Mannschaft auch ein großes Kompliment“, zeigte sich Trainer Urs Fischer nach dem Abpfiff sichtlich zufrieden.

Trainer: Köpenicker Konstante

Chefcoach Fischer führte seine Mannen in seiner Premierensaison 2018/19 direkt zum ersten Bundesligaaufstieg der Vereinsgeschichte und hielt im Folgejahr die Klasse. 2019 wurde der Schweizer als Berlins Trainer des Jahres ausgezeichnet. Nach dem Aufstieg und dem Klassenerhalt in den ersten beiden Spielzeiten scheint nun das nächste Erfolgserlebnis, die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb, möglich.

Seine aktive Spielerkarriere verbrachte Fischer von 1983 bis 2003 in der Schweizer Super League. Zwischen 1987 und 1995 stand der ehemalige Innenverteidiger acht Jahre beim FC St. Gallen unter Vertrag. Zuvor war er in der Jugend des FC Zürich groß geworden, hatte dort seine Profikarriere begonnen und später auch beendet. Im Anschluss fing der Schweizer direkt als Jugendtrainer beim FCZ an, stand in der Saison 2007/08 als Co-Trainer bei den Profis unter Vertrag und erfuhr im April 2010 nach zwischenzeitlicher Leitung der U21 die Beförderung zum Cheftrainer. Nach zwei Jahren zog es Fischer zum FC Thun und weitere drei Jahre später zum FC Basel, mit dem er zwei Mal die Schweizer Meisterschaft und ein Mal den Pokalsieg feiern konnte.

Seit Juni 2018 ist der 55-Jährige bei Union im Amt. Seine Gelassenheit und Ruhe, die sich auch bei Pressekonferenzen und Interviews zeigen, scheinen in Berlin genauso zum Erfolgskonzept geworden zu sein wie die große Konstanz auf dem Chefsessel. Nach Christian Streich und Florian Kohfeldt ist Fischer gemeinsam mit Adi Hütter der drittdienstälteste Trainer in der deutschen Beletage. Das schätzt auch FCU-Geschäftsführer Oliver Ruhnert: „Er ist eben auch keine 30 oder 35 mehr und meint, er muss jetzt noch mal in die große Welt, um irgendwas zu tun. Er ist jemand, der sehr, sehr gut zu uns und nach Köpenick passt.“

Taktiktafel: Kompaktheit, Kilometer, Konter

Im neuerdings bevorzugten 3-5-2-System steht der Hauptstadtklub defensiv stabil, lediglich Leipzig und Wolfsburg (je 21) kassierten weniger Gegentore als Union (27). In der Hinrunde agierten die Eisernen zumeist noch in einem 4-2-3-1- oder 4-3-3-System, seit dem Jahreswechsel vertraut Coach Fischer auf eine Dreierabwehrkette – taktische Änderungen sind abhängig vom Gegner immer möglich. Der Schweizer und seine Mannschaft definieren sich vordergründig durch ihre kompakte Defensive, Kampfgeist und Laufbereitschaft. Das spiegelt sich auch in den Statistiken wider: Mit 3012,69 zurückgelegten Kilometern ist der FCU die laufstärkste Mannschaft im Oberhaus. Eine gewisse Ordnung auf dem Feld ist dem Cheftrainer besonders wichtig, denn sonst „kann die Gefahr entstehen, dass es wild wird.“

1. FC Union Berlin 2020/21
Kompakt9 Siege, 11 Unentschieden, 5 Niederlagen, 38:27 Tore, 38 Punkte, Tabellenplatz 7
FormkurveU-S-U-U-S
TorschützenKruse (8), Awoniyi (5), Andrich (4), Friedrich (4), Becker (3), Teuchert (3), Ingvartsen (2), Pohjanpalo (2), Prömel (2), Bülter (1), Endo (1), Knoche (1), Schlotterbeck (1), Trimmel (1)

Dabei legt der 55-Jährige großen Wert auf ein diszipliniertes Pressingverhalten und einen ausgeprägten Teamgedanken. „Er möchte immer, dass wir als Mannschaft alles zusammen machen“, sagt Mittelfeldmann Robert Andrich. Bei Ballgewinnen geht es schnell nach vorne, zusätzlich zum Umschaltspiel kann sich der FCU auch auf seine Standardstärke verlassen. 15 ihrer 38 Saisontore erzielten die Berliner nach einem ruhenden Ball, dabei kann sich der Hauptstadtklub auf viele großgewachsene Spieler verlassen. In der Dreierkette kamen zuletzt Nico Schlotterbeck, Robin Knoche und Marvin Friedrich zum Einsatz.

Eine Ebene davor vertraut Fischer auf Kapitän Christopher Trimmel, Robert Andrich, Grischa Prömel, Keita Endo und Julian Ryerson. Im Sturm feierte Winterneuzugang Petar Musa gegen Köln sein Startelfdebüt, den zweiten Platz in der Doppelspitze nahm Topscorer Max Kruse ein. Mit Taiwo Awoniyi, Sheraldo Becker und Anthony Ujah müssen die Berliner aktuell auf einige Offensivkräfte verzichten, alternativ stehen Joel Pohjanpalo, Cedric Teuchert und Marcus Ingvartsen bereit.

Spieler im Fokus: Christopher Trimmel

Christopher Trimmel steht bereits seit Juli 2014 in Berlin unter Vertrag und ist sowohl als rechter Verteidiger als auch im rechten Mittelfeld einsetzbar. Trimmel ist nicht nur der verlässliche Rückhalt in der Defensive, sondern brilliert auch mit seinen Scorerqualitäten. In seinen bisherigen 220 Pflichtspielen für die Eisernen erzielte der 34-Jährige drei Tore und legte 49 Treffer auf. In der vergangenen Spielzeit war Trimmel mit acht Vorlagen Unions Topvorbereiter und auch in dieser Saison sammelte kein Köpenicker mehr Assists als der Österreicher (sechs).

Am vergangenen Spieltag gelang dem Kapitän der Berliner im 54. Einsatz und nach nach 4743 Einsatzminuten erstmals ein Tor in der Bundesliga. Dass es auch noch das Siegtor war, passt zu den Führungsqualitäten des Kapitäns, der darüber hinaus auch durch scharfe Eckstöße besticht. Der Vertrag des 34-Jährigen läuft im Sommer aus, danach soll allerdings noch lange nicht Schluss sein. „Ich habe bis jetzt überhaupt keine körperlichen Probleme und fühle mich sehr gut. Ich hatte in meiner Karriere wenige Verletzungen und hoffe, dass es die nächsten Jahre so weitergeht. Ich blicke positiv in die Zukunft und fühle mich wohl. Die Europameisterschaft im Sommer ist ein großes Ziel von mir“, erklärt der zehnfache A-Nationalspieler, der seit Ende 2019 nach fast zehn Jahren ohne Einsatz wieder zum Nationalmannschaftskader Österreichs gehört und im November 2020 seinen ersten Scorerpunkt verbuchte. Kapitän in dieser Partie für die Mannen aus der Alpenrepublik: Martin Hinteregger.

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