16.12.2020
Bundesliga

Schicksal? Gemeinschaft! Eintracht.

Die SGE zwischen dramatischem Spektakel und spektakulärem Drama. Rational kaum zu erklären. Dennoch ein Versuch.

„Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“, hatte der US-amerikanische Ingenieur Captain Edward A. Murphy 1949 im Rahmen von Forschungszwecken für die Air Force festgestellt. Eine Erkenntnis, die sich seinerzeit auf geschlossene komplexe Systeme bezog und sich bis heute als „Murphys Gesetz“ in der Alltagswahrnehmung verankert hat. Nun ist Fußball noch immer keine Raketenwissenschaft, zumal die Adlerträger nach dem buchstäblich unfassbaren 3:3 gegen Borussia Mönchengladbach bei aller Emotion und Enttäuschung bemerkenswert sachbezogen die Ursachen für die zwei späten Gegentreffer suchten – und fanden.

Im Grund mochte Adi Hütter am Dienstagabend niemand widersprechen, als der Cheftrainer auf der Pressekonferenz davon sprach, „außer in den ersten zehn Minuten eine absolut tolle Leistung gesehen“ zu haben. Damit bezog sich der nun seit acht Heimspielen ungeschlagene Fußballlehrer – so lange wie nie in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit – auch auf die letzten zehn Minuten, in der es freilich vor Schlüsselszenen nur so wimmelte.

Kettenreaktionen

„Ich bin überzeugt, dass wir mit David auf dem Platz gewonnen hätten“, hielt Hütter mit Blick auf die Gelb-Rote Karte gegen David Abraham beim Stand von 3:1 fest und monierte zugleich weniger das notwendig gewordene taktische Foul, als vielmehr das vorangehende Verhalten, welches wiederum von einigen klitzekleinen Unwägbarkeiten geprägt war. Erst geht Dominik Kohr an der Strafraumkante zu Boden. Erst der Elfmeterpfiff. „Ich muss mir die Bilder nochmal ansehen, aber bin sicher, dass Silva auch diesen Elfmeter verwandelte hätte“, war Hütter überzeugt. So wie jenen zum 1:1-Ausgleich, den 13. in Folge, den ein Frankfurter Fußballer in der Bundesliga verwertet hatte. Doch dann der Hinweis des Video Assistant Referee und die Korrektur auf Freistoß. Dieser von der Mauer zur Ecke abgewehrt, in deren Folge die Gäste zum Gegenstoß ansetzten. „Diese Aktion hätten wir früher unterbinden müssen“, erkannte Hütter. So musste der Captain von Bord, das Unheil aus dem Nichts nahm seinen Lauf. „Wenn David die Gelb-Rote Karte nicht erhält, gehen wir als Sieger vom Platz“, betonte auch Sportdirektor Bruno Hübner. Immerhin waren die Fohlen in der zweiten Halbzeit nicht ein Mal gefährlich vors gegnerische Gehäuse gekommen.

Bis zur 90. Minute. „Die Situation vor dem Elfmeter muss Aymen einfacher klären und den Ball wegschlagen. Er hat als Kreativer den spielerischen Weg gesucht“, analysierte Hütter die Entstehung des Anschlusstreffers. Gleichzeitig hob der 50-Jährige die Vorzüge des Eigengewächses aus der Nordweststadt hervor, das ebenso spielend leicht das 3:1 markiert hatte. „Ihm gebührt ein großes Kompliment, nicht nur wegen seines Tores. Er hat gekämpft, ist viel gelaufen, phänomenal“, lobte Hütter.

Variable Abwehrreihe

Der Chefcoach hatte neben Barkok außerdem den nach muskulären Problemen wiedergenesenen Silva zur Verfügung. Dabei „war die Entscheidung noch am Vormittag offen. Bas Dost hat nicht begonnen, auch weil er am Freitag sehr viel gelaufen ist, und hat die Entscheidung super mitgetragen.“ Dagegen hatte Evan Ndicka nach einem Schlag auf den Knöchel kurzfristig passen müssen, wofür Makoto Hasebe in die Innenverteidigung zurückgekehrt war. Ganz nach dem Geschmack von Uwe Bein, der sich im blättche vor dem letzten Heimspiel 2020 für den Japaner stark gemacht hatte, „weil er die spielerische Variante bevorzugt und viele Positionen hervorragend ausüben kann.“

Dafür bekleidete Martin Hinteregger die linke Abwehrseite, wodurch die Hessen variabel zwischen Vierer- und Dreierkette pendeln konnten. Eine Rolle, die Hinteregger, mit 47 Pässen in dieser Hinsicht aktivster Frankfurter, zuletzt vermehrt während seines halbjährigen Intermezzos 2016 in Mönchengladbach ausgefüllt hatte. Berührungspunkte zum Fohlenstall hatte nicht zuletzt Amin Younes, der gegen seinen Jugendklub sein Startelfdebüt mit dem Adler auf der Brust feierte. „Wir waren in den Zweikämpfen körperlich da, auch fußballerisch, und haben tolle Tore erzielt. Das Ergebnis fühlt sich wie eine Niederlage an“, schwebte die Leihgabe aus Neapel hinterher zwischen Stolz und Enttäuschung. „Amin ist schon länger heiß und trainiert gut. Sein Einsatz stand für mich schon am Montag fest“, begründete Hütter die Nominierung.

Die Kapitänsfrage

Und sah sich in der Umstellung ebenso bestätigt wie generell im Auftreten seiner Truppe: „Die Leistung der gesamten Mannschaft stimmt mich optimistisch, dass wir bald wieder gewinnen werden. Mir macht es Spaß, zu sehen, wie alle kämpfen, eine kompakte Einheit bilden und Mentalität zeigen.“ Die gleichen Eigenschaften attestierte denn auch Trainerkollege Marco Rose seinen Schützlingen, allen voran Dreierpacker Lars Stindl: „Wir haben immer deutlich gemacht, dass Lars Stindl ein richtiger Kapitän ist, das hat er wieder eindrucksvoll bestätigt. Er ist ein wichtiger Faktor für uns.“ Wenn nicht der entscheidende. Denn auch wenn sich Mannschaftsleistungen schwer personalisieren lassen, entbehrt es doch einer gewissen Tragik, dass Gladbachs Spielführer just in jener Phase das Zünglein an der Waage spielte, nachdem die Hausherren ihren verloren hatten.

Exzellente Effizienz

Vergleichbar auf die Spitze trieben beide Seiten die eigene Effizienz. Von insgesamt 18 Schüssen, wovon Frankfurt drei und Gladbach fünf aufs Tor brachte, zappelte ein Drittel im Netz. „André ist ein Goalgetter, hatte bei allen Toren seine Füße im Spiel und hat außerdem sehr gut für die Mannschaft gearbeitet“, goutierte Hütter entsprechend die Quote seines mit neun Saisontoren erfolgreichsten Torjägers, dessen Auswechslung zwei Minuten nach der Unterzahl taktisch logisch war und sich gewissermaßen in den Dominoeffekt einreihte...

Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass die Adlerträger mehr denn je drauf und dran sind, ihre Sieglosserie zu durchbrechen. Die letzte Gelegenheit in diesem Jahr bietet sich am Samstag beim FC Augsburg. Vor der Reise in die Fuggerstadt stehen von Mittwoch bis Freitag je eine Trainingseinheit an. In diesem Zusammenhang fordert Makoto Hasebe. „Wir müssen weiter positiv denken und am Samstag drei Punkte holen.“ Entgegen des Schicksals, als Gemeinschaft. In Eintracht.