09.02.2021
Team

„Wenn ich zum Training gehe, gehe ich arbeiten“

Soziales Engagement im Libanon, Kind einer Arbeiterfamilie, Vaterfigur Horst Hrubesch – warum Amin Younes so tickt wie er tickt, erläutert er im zweiten Teil des Podcast-Interviews.

Die Vormittagseinheit ist gerade beendet, doch Amin Younes schreitet schon zur nächsten Aufgabe. Der Mittelfelspieler hat einen Termin bei der „Eintracht vom Main“, für die er als 13. Gast des Vereinspodcasts zu Gast ist. 48 Minuten dauert das launige Gespräch mit Moderator und Pressesprecher Marc Hindelang. Nach vielen sportlichen Themen im ersten Teil spricht der der gebürtige Düsseldorfer mit libanesischen Wurzeln nun über seine Herkunft, soziales Engagement, die Kraft des Fußballs, seine internationale Vita und Diego Maradona.

Amin, wir kamen bereits auf deine vielfältige Herkunft zu sprechen. Was kannst du uns über den Libanon erzählen?
Es gibt einen Spruch, der heißt: „Wenn du denkst, dass du den Libanon verstanden hast, hat man ihn dir falsch erklärt.“ Es gibt unglaublich viele Versionen über das Land, das macht es so schwierig, es zu beschreiben. Eigentlich müsste jeder selbst hinfliegen, um sich ein Bild von den Menschen zu machen. Der Libanon ist in vielen Punkten sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite sehr schön, warm und gastfreundlich, auf der anderen Seite aber auch sehr chaotisch. Das hat mit der Historie zu tun. Die Menschen haben durch den Bürgerkrieg und andere Kriege viel Leid erfahren, aber trotzdem immer weitergemacht und sich erholt. Das gehört zur Mentalität. Der Libanese ist so gestrickt, dass er immer Lösungen findet, sich durchkämpft und immer das Licht am Ende des Tunnels sieht. Wir haben auch eine gute Küche, was mir früher zum Verhängnis wurde. Als ich jünger war und zu Hause gewohnt habe, wirkte ich etwas pummeliger, weil Mama immer gut gekocht hat (lacht).

Du engagierst dich für die Initiative „Orienthelfer“. Was hat es damit auf sich?
Das ist für mich in erster Linie eine Herzensangelegenheit. Es ist leider schwierig, allen und überall im Libanon zu helfen, weil es viele Baustellen gibt. Ich bin sehr froh, dass ich das Projekt kennengelernt habe. Christian Springer [Vorstand und Gründer von Orienthelfer e.V.; Anm. d. Red.] hat das Land einmal besucht und sich sofort darin verliebt. Als ich mir seine Geschichte angehört habe, war ich sofort dabei. Ich unterstütze, wo ich kann, sei es mit Hilfspaketen oder Essenspaketen, wie neulich im Osten des Landes. In Zukunft werden wir versuchen, obdachlos gewordenen Kindern zu helfen. Vor allem in Tripolis fällt sehr viel an, weil es eine sozial schwache, von Armut geprägte Stadt ist. Beispielsweise hat der Staat dort das Thema Bildung etwas vernachlässigt, hier möchten wir ansetzen.

Welche Perspektive siehst du dort, auch im Zusammenhang mit der daraus resultierenden Flüchtlingsbewegung?
Dafür muss man sich die Situation richtig vergegenwärtigen. Das Land ist sehr gespalten, es gibt viele verschiedene Gruppen und Religionen. Trotzdem sind die Menschen jahrelang gut zurechtgekommen. Der Libanon war in dieser Hinsicht sogar vorbildlich, weswegen ich hoffe, dass wieder Ordnung in das Land kommt, es unabhängig wird und die Menschen in Frieden leben können. Ich glaube, das benötigt vor allem Zeit. Die Leute müssen verstehen, dass sie Geduld brauchen. Hierbei geht es auch um die Rückkehr zu den Tugenden, um zu dem Stand zurückzukehren, auf dem sie bereits waren und den etwa mein Vater erlebt hat. Auch nach dem Bürgerkrieg ging es weiter mit dem Wiederaufbau. Aber das benötigt wie gesagt Zeit.

Welche Rolle spielt dort der Fußball?
Leider keine sonderlich große, was ich sehr schade finde. Sport verbindet, das sieht man auf vorbildliche Weise in Deutschland, wo auch viele verschiedene Kulturen zusammenleben. In einer Mannschaft ist es egal, welche Hautfarbe oder religiösen Hintergründe jemand hat. Alle haben ein gemeinsames Ziel, dem sie nachgehen. Das versuche ich bei meinen Besuchen im Libanon den Kindern zu vermitteln, indem ich mit ihnen spiele und trainiere. Das Problem ist, dass sie am Nachmittag damit eine riesige Freude erfahren, aber anschließend nach Hause kommen und wieder den alten Problemen begegnen. Ich würde mir für die Zeit nach meiner Karriere wünschen, dort Kontinuität reinzubringen.

Neben dem Fußball darf das Menschliche nie zu kurz kommen. Davon wünsche ich mir noch ein bisschen mehr.

Amin Younes

Das heißt, du möchtest dein Engagement weiter intensivieren?
Ich nehme mir hierbei Theo Bücker zum Vorbild, der eine libanesische Frau geheiratet hat und lange Nationaltrainer im Libanon war. Er hat sich dort großartig engagiert und in sportlicher Hinsicht einiges bewegt. Unter ihm hat das Nationalteam fast die WM-Qualifikation gepackt. Darüberhinaus hat er auch im Nachwuchsbereich hervorragende Arbeit geleistet. Ab und zu schreiben wir miteinander.

Du interessierst dich generell für deine Umgebung und unterstützt ein Kinderhospiz in Düsseldorf. Was machst du dort genau?
Hier betreuen wir fünf Jugendliche und fünf kleinere Kinder, die eine unheilbare Krankheit haben und nochmal eine schöne Zeit erleben sollen. Freude im Leben ist einfach wichtig, deshalb bin ich da von Herzen bei der Sache. Wir Fußballer leben meistens in einer Blase, aus der ich immer versuche, herauszukommen oder gar nicht erst drin zu sein. Ich bin in einer Arbeiterfamilie großgeworden. Ich weiß noch, als meine Mutter in einer Bäckerei gearbeitet hat, jeden Morgen zwischen drei und vier Uhr aufgestanden ist und gleichzeitig für uns Kinder da war. Das ist für mich harte Arbeit. Auch wenn der Spaß beim Fußball für mich dazu gehört, sage ich: Wenn ich zum Training gehe, gehe ich arbeiten. Ich sehe keinen Grund, uns über andere zu stellen, nur weil wir eine größere mediale Aufmerksamkeit erfahren oder mehr Geld verdienen. Das ist alles uninteressant. Es gibt nichts Schöneres, als mit Menschen zu kommunizieren und deren Geschichten zu hören und daraus für sich selbst etwas mitzunehmen. Das ist für mich wahrer Reichtum.

Kannst du trotzdem nachvollziehen, wenn sich andere in dieser Blase bewegen und ihr privilegiertes Leben als selbstverständlich nehmen?
Ich versuche natürlich, vorsichtig zu sein und ich selbst zu bleiben, aber niemandem reinzureden, wie er zu leben hat. Das muss jeder für sich wissen und die Sicht des anderen respektieren. Wenn jemand in jungen Jahren zu viel Geld und Aufmerksamkeit kommt, ist das nicht automatisch schlecht oder gut, sondern einfach fernab der Realität. Ich sehe die Vereine, aber auch die Spieler, in der Verantwortung. Dahingehend gebührt der Eintracht ein Kompliment, weil die Verantwortlichen genau darauf achten, dass die Jungs charakterlich in Ordnung sind. Das war ein Grund, weshalb ich nach Frankfurt gewechselt bin. Dass sich mal jemand ein schickes Auto zulegt, kommt sicher vor und gehört dazu. Aber dafür ackern die Jungs auch viel und trainieren hart. Dagegen spricht überhaupt nichts Ich könnte nur nicht durchs Leben gehen, ohne nach links und rechts zu schauen. Ich denke, die Mischung macht‘s.

Gibt es Menschen, die dich für so eine Sichtweise geprägt haben?

Väterlicher Förderer: Horst Hrubesch.

Auf der einen Seite meine Familie, für die es sicher nicht normal war, einen Jungen zu haben, der dank seines Talents von heute auf morgen viel Geld verdient. Ein großes Kompliment an sie, wie sie damit umgehen. Aus dem Fußball würde ich Horst Hrubesch nennen, mit dem ich viele tiefgründige Gespräche gehabt habe. Ich habe von ihm auch außerhalb des Fußballs unheimlich viel gelernt. Er ist ein ganz normaler, bodenständiger Mann, der eine Familie großgezogen hat und alle Tugenden besitzt, die einen Menschen ausmachen, um später in den Spiegel schauen und sagen zu können: Ich bin mit allen gut umgegangen und mit mir im Reinen. Ich habe in der U18 und U21 von Deutschland zwei Jahre unter Horst Hrubesch gespielt, da hat es nochmal Klick gemacht. Gerade für mich als damals jungen Spieler, der gerade in die erste Mannschaft von Borussia Mönchengladbach gekommen ist. Da verliert man schnell den Bezug zum Wesentlichen. Deshalb bin ich sehr dankbar, Horst Hrubesch begegnet zu sein, der einem sofort klarmacht: So geht es nicht! Neben dem Fußball darf das Menschliche nie zu kurz kommen. Davon wünsche ich mir noch ein bisschen mehr.

Geht dein Verhältnis zu Lucien Favre in eine ähnliche Richtung?
Er ist ein anderer Typ, den ich für seine fürsorgliche Art schätze. Aber ihm geht es als Trainer wirklich hauptsächlich um den Fußball. Dafür arbeitet er wie ein Besessener sehr detailliert und akribisch, um die Spieler zu verbessern. Nichtsdestotrotz ist er ebenfalls ein sehr feiner Mensch, der gut mit den Spielern und seinem Umfeld umgeht. Unter ihm habe ich viel gelernt. Man darf nicht vergessen, dass ich bereits mit 17 unter ihm trainieren durfte. Unter ihm habe ich fußballerisch nochmal einen großen Schritt gemacht.

Borussia Mönchengladbach, 1. FC Kaiserslautern, Ajax Amsterdam, SSC Neapel und Eintracht Frankfurt sind allesamt emotionale Klubs. Würdest du von einem Muster sprechen oder Zufall?
Willst du mir indirekt vorwerfen, ich sei emotional (lacht). Aber im Ernst: Wenn man in Gladbach groß wird, in einem Klub mit viel Tradition und so vielen Mythen, der Fohlenelf, dann macht das schon etwas mit einem. Und es ist schwierig, für Klubs zu spielen, in denen wenig los ist. Deshalb denke ich schon, dass mich lebhafte Klubs anziehen. Zum einen, um vor begeisterten Fans zu spielen, zum anderen ist es immer schön, in eine Stadt zu gehen, die den Verein lebt.

Kommen wir zu zwei Ikonen deiner früheren Klubs: Zunächst Johan Cruyff bei Ajax Amsterdam.
Mit seinem Namen steht und fällt alles im Klub. Es gibt dort niemanden, der so viel Anerkennung erfährt wie Johan Cruyff, weil er den Verein sowohl als Spieler wie auch als Trainer unglaublich geprägt hat.

Cruyff ist ebenso verstorben wie im vergangenen Jahr Diego Maradona, der in Napoli Heldenstatus genießt. Wie nah ging dir das?
Ich war leider etwas zu jung, um die beiden live hätte spielen sehen zu können. Trotzdem verstehst du, wenn du für diese Klubs arbeitest, die Bedeutung dieser Personen. Beispielsweise, wenn man mit Leuten aus dem Verein zu tun hat, die noch mit ihnen persönlich zu tun hatten. So erfährt man nochmal ganz andere Dinge über Cruyff oder Maradona, Kleinigkeiten aus dem privaten Umfeld. Das ist etwas ganz anderes als die Berichterstattung im Fernsehen. So hat mir der Physio bei Ajax verraten, dass die Mannschaft Johan während Waldläufen immer versteckt hat, weil er nie laufen mochte, aber alle wussten: Er muss nicht laufen, solange er am Wochenende für uns die Spiele gewinnt...

Kannst du auch eine Geschichte zu Maradona verraten?
Bei ihm hat es nochmal eine andere Dimension. In Neapel hängt in jedem Restaurant ein Bild von ihm, jeder hat ein Shirt von ihm. Das ist Wahnsinn. Maradona hat Neapel beide Meisterschaften gewonnen, das werden ihm die Menschen nie vergessen. Selbst wenn jemand wie Dries Mertens einen Rekord bricht, bleibt Diego aufgrund der zwei Titel für immer unerreicht.

Bei Ajax warst du selbst nah an einem Titel dran, als du im Finale der Europa League standst. Lust auf mehr?
Mit Sicherheit! Es wäre natürlich schön und mir sehr wichtig, mit der Eintracht international vertreten zu sein. Was letztendlich möglich ist, werden wir sehen. Aber der Wunsch nach Wiederholung ist auf jeden Fall da.

Dieses Interview basiert auf Younes' Aussagen in der neuen Episode der „Eintracht vom Main“. Im ersten Teil spricht der 27-Jährige über den Spagat zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, den Reiz des Bolzplatzes, Nachhilfe beim Vater, Tunnel gegen Martin Hinteregger, seine persönliche Traumelf und einiges mehr. An dieser Stelle sei euch auch das komplette Podcast-Paket ans Herz gelegt.

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