Die Vormittagseinheit ist gerade beendet, doch Amin Younes schreitet schon zur nächsten Aufgabe. Der Mittelfelspieler hat einen Termin bei der „Eintracht vom Main“, für die er als 13. Gast des Vereinspodcast zu Gast ist. 48 Minuten dauert das launige Gespräch mit Moderator und Pressesprecher Marc Hindelang. Natürlich kommt die Erfolgsserie der Eintracht zur Sprache, aber auch Themen abseits des Rasens. Im ersten Teil des Interviews spricht der 27-Jährige über den Spagat zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, den Reiz des Bolzplatzes, Nachhilfe beim Vater, Tunnel gegen Martin Hinteregger, seine persönliche Traumelf und einiges mehr.
Amin, wir blicken auf die Abbildung eines Spielfeldes an der Wand. Welche Gefühle verbindest du damit?
Das gefällt mir, aber ein Bolzplatz wäre sogar noch etwas schöner.
Also würdest du dich als Straßenfußballer bezeichnen?
Auf jeden Fall! Wenn ich unterwegs bin und einen Bolzplatz sehe, bin ich immer jemand, der gerne stehen bleibt, den Jungs beim Kicken zusieht und am liebsten selbst mitmachen würde.
Was sagt das über deinen fußballerischen Werdegang aus?
Ich denke, dass mich diese Erfahrungen sehr geprägt haben und mir der Fußball am meisten Freude bereitet – das ist bis heute so geblieben. Ich versuche immer, mir ein paar Eigenschaften, die ich mir von klein auf angeeignet habe, zu erhalten.
Du giltst bekanntlich nicht zu den großgewachsenen Spielern. Inwiefern hat das dein Durchsetzungsvermögen gefördert?
Ich fand es immer interessant, dass es keinen Schiedsrichter gab und man sich durchbeißen musste. Es gibt kein Jammern, kein Meckern, kein Klagen. Auch keine Altersgrenze. Das heißt, jeder spielt gegen jeden. So lernst du, dich durchzusetzen.
Vergleiche zu Aymen Barkok und Daichi Kamada, deinen Kollegen im offensiven Mittelfeld, liegen nahe. Was verbindet euch auf dem Spielfeld?
Ich freue mich sehr, dass die Jungs in vielen Aspekten ähnlich denken und handeln. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Automatismen so gut greifen, obwohl wir noch nicht lange zusammenspielen. Daran merkt man, dass wir ein gutes Spielverständnis besitzen. Erfreulich ist vor allem, dass wir uns mit der Zeit immer weiterentwickeln und weiter verinnerlichen, wie sich der andere bewegt, um den letzten Schritt, den letzten Pass zu optimieren.
Das heißt, ihr profitiert auch im Training voneinander?
Prinzipiell sind alle sehr locker. Aber der eine oder andere Tunnel im Training ist natürlich immer drin, dann ziehen wir uns hinterher auch mal gegenseitig auf. Wichtig bleibt, dass wir bei aller Verspieltheit nach Ballverlusten, die immer vorkommen, hinterhergehen und griffig bleiben. Das gehört zum Profifußball dazu. Ich bin auch kein Fan davon, mit Tricks jemanden lächerlich aussehen zu lassen, das hat etwas mit Anstand zu tun. Bei allem Spielwitz und aller Leichtigkeit müssen diese Eigenschaften mit dem Ziel einhergehen, Tore zu kreieren. Es ist wenig zielführend, jemanden zu tunneln und den Ball danach 20 Meter zurückzupassen.
Welchen Mitspieler würdest du nicht tunneln?
Bei Martin Hinteregger bin ich ein bisschen vorsichtiger (lacht).
Alle denken immer: Der kleine, liebe Amin – aber auch für mich steht Gewinnen an erster Stelle. Es geht um die Mannschaft, die Eintracht, den Verein und die Fans.
Amin Younes
Ihr strahlt im Moment eine große Selbstsicherheit aus. Jeder scheint zu wissen, was der andere tut, beispielsweise, wenn du und Filip Kostic über die linke Seite kombinieren. Ist das euer Erfolgsgeheimnis?
Das ist mit Sicherheit ein Faktor, aber auch mit Evan Ndicka macht es richtig Spaß. Der kann auch marschieren mit seinen langen Schritten und stößt oft mit nach vorne, ohne dabei die Defensive zu vernachlässigen. Ich bin ohnehin niemand, der sagt, die Offensive richtet alles. Wir müssen auch die Jungs hinten sehr loben. Angefangen bei Kevin Trapp über Martin, Tuta, Evan, Djibril Sow und Makoto Hasebe. Ohne sie könnten wir vorne gar nicht so spielen. Diese Absicherung macht das mutige Anlaufen und Direktspiel erst möglich, weil wir wissen, dass wir auch mal einen Fehlpass spielen dürfen. Die Jungs sind immer auf dem Sprung, verteidigen nach vorne, das gibt nochmal einen Schub Selbstvertrauen.
Wie wichtig ist dir dabei der Spaßfaktor?
Es ist schon richtig, dass Spieler wie ich und andere ihre größte Qualität verlieren, wenn man ihnen die Spielfreude nimmt. Dennoch geht es in erster Linie darum, der Mannschaft zu helfen. Manch einer hat mich auch schon anders erlebt, wenn ich mal mit dem Schiedsrichter ein bisschen zu hart ins Gericht gegangen bin. Alle denken immer: Der kleine, liebe Amin – aber auch für mich steht Gewinnen an erster Stelle. Es geht um die Mannschaft, die Eintracht, den Verein und die Fans. Ich möchte nach dem Spiel mit einem Sieg nach Hause fahren, am liebsten natürlich in einer ansehnlichen Art und Weise. Das spornt mich an.
Ist bisher eingetreten, was du dir von deinem Wechsel aus Neapel zur Eintracht erhofft hast?
Ich kann mich noch an unsere erste Pressekonferenz erinnern. Damals war ich sehr vorsichtig und habe gesagt, dass ich alles geben werde und voller Überzeugung hierhergekommen bin. Dass es so schnell funktioniert und wir als komplette Mannschaft einen solch guten Fußball spielen, hätte ich nicht gedacht. Nichtsdestotrotz habe ich vom ersten Tag an das unglaubliche Potential des Teams erkannt. Im Nachhinein wundert mich die Entwicklung deshalb nicht, weil der Schlüssel für den Erfolg auch darin liegt, dass alle bescheiden bleiben und niemand Starallüren hat. Jeder ist für den anderen da.
Siehst du die Gefahr, dass sich bei all dem Lob irgendwann Nachlässigkeiten einschleichen?
Ich wüsste nicht, warum. Normalerweise bin ich sehr kritisch, gerade mir selbst gegenüber. Aber bei dieser Truppe habe ich überhaupt keine Bedenken, weil alle unverändert im Training Gas geben und nicht den Anschein erwecken, abzuheben. Die Arbeit macht einfach Spaß. Wenn so viel Lob von anderen Vereinen kommt, möchten diese normalerweise immer etwas Druck aufbauen. Aber den verspüre ich überhaupt nicht, sondern freue mich auf jedes Spiel. Wir wissen, dass der Ball nicht automatisch so gut läuft. In jedem Spiel geht es erstmal darum, die Zweikämpfe anzunehmen und zu gewinnen.
Das gelang euch mit und nun auch ohne David Abraham. Wie hast du euern Kapitän in deinem halben Jahr kennengelernt?
David ist phänomenal! Ich finde es traurig, ihn nicht länger erlebt zu haben. Ich habe mehrmals zu ihm gesagt, dass ich mich freuen würde, wenn er sein Karriereende nochmal überdenkt. Aber seine Beweggründe sind verständlich, es geht um seine Familie und seinen Sohn. Daher freuen wir uns unglaublich für ihn. Ich bin überzeugt, dass er noch eine Weile auf diesem Level hätte spielen können. Er ist ein Krieger, ein echter Champion und ich verfolge auch seinen jetzigen Klub in der Heimat, um immer auf dem Laufenden zu bleiben.
Ein weiterer ehemaliger Spieler, der es dir angetan hat, war in deiner Kindheit Zinédine Zidane.
Richtig, ich hatte ein Trikot von Real Madrid mit seinem Namen und der Nummer fünf. Das hatte ich in der U14 oder U15 einem Mitspieler mit meinem letzten Geld abgekauft (lacht).
Wen würdest du ansonsten in deine persönliche Traumelf wählen?
(beschriftet Flipchart)
ter Stegen | ||||
Sagnol | Lúcio | Sergio Ramos | Alaba | |
Vieira | ||||
Messi | Zidane | Younes | Ribéry | |
van Nistelrooy |
Du hast einmal gesagt, dass dein Bruder talentierter sei als du. Wie hast du das gemeint?
Er war bis zur U15 oder U16 unglaublich stark. Wir haben uns zu Hause auf den Bolzplätzen auch unzählige Duelle geliefert. Philipp war wirklich fantastisch, hat es als linker Verteidiger einigen sehr schwer gemacht und war auch fußballerisch sehr gut.
Ist er heute noch am Ball?
Ja, für Tiefenbroich in der Kreisliga, aber nur noch nebenbei. Bis zur U19 haben wir gemeinsam in Gladbach gespielt, dann ist er zu Fortuna Düsseldorf gegangen. Von dort ging es in die Oberliga und so weiter. Schade, denn er hätte das Zeug zum Profifußballer gehabt. Aber die Hauptsache ist, dass er glücklich und gesund ist.
Weshalb seid ihr eigentlich nach Gladbach und nicht zur Fortuna? Immerhin stammt ihr ja aus Unterrath.
Interessant, diese Frage hat mir noch nie jemand gestellt! Die Erklärung ist einfach: Die Fortuna hatte nie angefragt. Also haben wir ein Probetraining bei der Borussia absolviert und nach ein paar Einheiten haben sie uns beide genommen.
Du stammst aus einer Fußballerfamilie, auch dein Vater hat im Libanon in der ersten Liga gespielt, musste aber vor dem Bürgerkrieg fliehen. Hätte er ansonsten eine größere Karriere vor sich haben können?
Definitiv, weil er super kicken kann, auch heute noch. Wenn ihm bei mir etwas nicht passt, geht er immer noch mit mir auf den Platz und zeigt mir ein paar Dinge. Selbst ist er auch noch aktiv, hat immer sonntags am Rhein gekickt, als der Lockdwon noch nicht war.
Betrachtest du ihn mehr als Kritiker oder Ratgeber?
Er ist tatsächlich sehr kritisch, Lob kommt von ihm selten. Das ist aber okay, ich kann damit gut umgehen, weil ich selbst sehr kritisch bin und wir sehr gute Gespräch haben. Er ist immer der Meinung, dass noch ein bisschen mehr geht. Das ändert nichts daran, dass er stolz auf mich ist, was ich aber meistens über meine Mutter erfahre (schmunzelt). Über meine Kollegen spricht er immer gut, beispielsweise über Djibi oder Hase. Das freut mich dann selbst.
Würdest du umgekehrt ähnlich hart mit ihm ins Gericht gehen?
Das lässt sich schwer vergleichen, weil er ja altersbedingt nicht mehr der Schnellste ist (lacht). Dennoch ist er nach wie vor ein guter Kicker. Es ist immer schön, wenn ich nach Hause komme und mit dem Vater im Garten eine Runde kicken kann. Dort steht auch eine Tecball-Platte, das ist schon lustig.
Dein Vater ist Libanese, deine Mutter Deutsche und ihr seid in der Karnevalshochburg Düsseldorf aufgewachsen – ließ sich das überhaupt vereinbaren?
Eher weniger, obwohl wir behütet aufgewachsen sind. Die Eltern meiner Mutter waren immer in der Nähe, die meines Vaters natürlich weiter weg. Insgesamt haben wir sehr warmherzige Familienverhältnisse gehabt. Für deutsche Verhältnisse stammt meine Mutter aus einer relativ großen Familie. Sie hat, glaube ich, sechs Geschwister. Das ist eher untypisch, aber dadurch haben wir viele Cousinen und Cousins.
Dieses Interview basiert auf Younes' Aussagen in der neuen Episode der „Eintracht vom Main“. Im zweiten Teil spricht der gebürtige Düsseldorfer mit libanesischen Wurzeln über seine Herkunft, soziales Engagement, die Kraft des Fußballs, seine internationale Vita und Diego Maradona. An dieser Stelle sei euch auch das komplette Podcast-Paket ans Herz gelegt.
Anhören und abonnieren
Jetzt reinhören: Castbox / Deezer / Google / iTunes / Spotify