15.02.2021
Bundesliga

Akupunktur für Fortgeschrittene

Erstmals seit sechs Spielen ohne Gegentor: Die Adler haben die nächste Nadel im Heuhaufen entsorgt, zugleich selbst zugestochen und einmal mehr einen langen Atem bewiesen.

Die Nachfrage am Freitag stieß bei Adi Hütter keineswegs auf Ärgernis. Nein, der Fußballlehrer fasste es eher wohlwollend auf, über die Tatsache zu sprechen, die wenigsten Spiele in der Vergangenheit ohne Gegentor absolviert respektive gewonnen zu haben. Die berühmte Nadel im Heuhaufen: Gefunden, begutachtet, am Sonntag gegen den 1. FC Köln fachmännisch entsorgt. Und gleichzeitig dank erneut zwei eigenen Treffern den achten Sieg in den vergangenen zehn Partien, darunter zwei Remis, eingefahren. Chefcoach Hütter betonte im Nachgang, wie wichtig ihm „eine stabile Abwehr als Fundament“ sei, schließlich ließe sich ein Haus auch nicht von oben nach unten bauen. Dass die Gäste vom Rhein nur einen Schuss auf das Tor von Kevin Trapp zugestanden bekamen, spricht für dieses Ansinnen, das nicht nur nach dem Geschmack des Nationaltorhüters war: „Ich freue mich sehr über den Sieg und mein 50. Zu-null-Spiel für die Eintracht. Wir haben kaum etwas zugelassen und gut verteidigt.“ Auf der anderen Seite ließ sich Hütter von der überwiegend abgeklärten Darbietung und der ersten weißen Weste seit dem Abschied von David Abraham nicht blenden: „Es war nicht alles Gold, was glänzt. Wir haben teilweise lange gebraucht, bis wir im Spiel waren und waren zu Beginn der zweiten Halbzeit unkonzentriert.“

Mit fortschreitender Spieldauer wiederum nahm die Zielstrebigkeit der Hessen stetig zu. Oder besser: Das eigene Selbstverständnis setzte sich durch. Denn nachdem die Hausherren eine Stunde lang ihre klarsten Gelegenheiten nicht verwerten konnten, auch weil Timo Horn in seinem 300. Pflichtspiel für Köln fünf Schüsse abwehrte und damit nur einen weniger als seine Vorderleute insgesamt abgaben, schienen die beiden Frankfurter Einschläge mal mehr, mal weniger unwahrscheinlich. Oder wie FC-Coach Markus Gisdol das 1:0 analysierte: „Wir verlieren den Ball und geraten durch einen abgefälschten Schuss in Rückstand.“ Dem abgebrühten Lupfer von André Silva war ein sich gegen Köln häufendes Muster vorausgegangen, weil Erik Durm wie sein Pendant Filip Kostic nicht stupide an der Seitenauslinie klebte, sondern gerne mit dem Ball nach innen zog und selbst sein, in diesem Fall sprichwörtliches, Glück versuchte.

Unwahrscheinlich torgefährlich

Auf den Geschmack gekommen: Evan Ndicka.

Auch das 2:0 durch Evan Ndicka nach Eckball Kostics war bei näherer statistischer Betrachtung offenbar nicht vorauszusehen. So wiesen die Berechnungen der Expected Goals den Kopfballtreffer des Franzosen mit 6,6 Prozent als unwahrscheinlichstes Tor des 21. Spieltages aus. Es war für den 21-Jährigen die zweite Bude in Folge, bereits beim 3:1 bei der TSG Hoffenheim hatte der Innenverteidiger eine Freistoßflanke von Kostic zum wichtigen 2:1 eingenickt. Er netzte damit in den vergangenen beiden Begegnungen so häufig wie in den vorangegangenen 59 Bundesligaspielen zusammen ein. „Es freut mich sehr, dass Evan wieder getroffen hat. Da sieht man, was ein erstes Saisontor ausmachen kann“, befand Fredi Bobic. Zumal die Frankfurter Fußballer damit nicht nur ausdauermäßig ihre Luft-Hoheit untermauerten: Mehr als 508 gewonnene Kopfballduelle verzeichnet einzig Leipzig (532). Und bei der Gegenüberstellung erzielter und kassierter Standardtreffer grüßt die Eintracht wie nun in der Tabelle ebenfalls vom Treppchen. 16 Treffern nach ruhenden Bällen stehen sieben Gegentore auf diese Weise gegenüber. Ganz genau genommen befand sich selbst Silvas Heber, ehe er im Netz zappelte, in der Luft...

Viva Europa

Gleichwohl fiel Hütters Bewertung gewohnt ganzheitlich aus, wie er mit Blick auf seine Dreierabwehrkette ausführte: „Martin war der absolute Chef und hat gefühlt jeden Zweikampf gewonnen, Evan hat sich nach der Pause enorm gesteigert und Tuta wirkte auch souverän. Die Verteidigung hat mich insgesamt beeindruckt.“ Beeindruckend ist nicht weniger, dass die Eintracht erstmals in ihrer Bundesligageschichte die ersten vier Rückrundenpartien allesamt gewann. Natürlich war es für den am Donnerstag 51 Jahre alt gewordenen Hütter nicht unerheblich, „erstmals gegen Köln gewonnen“ zu haben. Eine Premiere im 100. Jubiläumsspiel der Traditionsvereine gegeneinander. Trainerkollege Gisdol mochte sich angesichts des jüngsten Aufschwungs des Effzeh die entfallene Karnevalswoche gleichwohl nicht mehr vermiesen lassen als nötig, immerhin „haben wir gegen eine Topmannschaft verloren“. Wer mag ihm schon widersprechen, immerhin kommen in Europas Top-Fünf-Ligen einzig Manchester City (30) und Atlético Madrid (28) in den vergangenen zehn Spielen auf eine noch höhere Punktausbeute als Frankfurt (26). Viva Europa statt Viva Colonia sozusagen.

Scorer vom Dienst: André Silva und Filip Kostic.

Ausbeute ist mittlerweile fast traditionell auch das Stichwort bei André Silva. Der Portugiese sorgte mit der Führung nicht nur in den Augen von Sportvorstand Bobic für den „Türöffner“, sondern gilt mit neun Treffern in 2021 neben Manchester Citys Ilkay Gündogan als erfolgreichster Torschütze in Europas Top-Fünf-Ligen. „André Silva hat die Anforderungen komplett angenommen und verdient sich die Tore durch seine überragende Technik. Im Abschluss ist er eiskalt. Die erste Chance hat er nicht genutzt, danach hat er es sehr abgezockt gemacht“, lobte Bobic den mit fünf Abschlüssen erneut schussfreudigen Goalgetter, der mit 18 Kisten nach 21 Spieltagen so oft geknipst hat wie kein Adlerträger vor ihm. In diesem Jahrtausend gab es überhaupt nur einen Frankfurter, der in einer kompletten (!) Spielzeit häufiger einnetzte: Alex Meier, als er mit 2014/15 mit 19 Treffern Torschützenkönig wurde.

André Silva macht Jagd auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

„Das Problem ist nur, dass es Robert Lewandowski gibt“, spannte Bobic damit vielleicht unbewusst den Bogen von Vergangenheit und Gegenwart in die unmittelbare Zukunft. In Anbetracht des Umstands, dass an diesem Spieltag sechs von bisher ausgetragenen acht Begegnungen unentschieden endeten, „haben wir uns von den hinteren Plätzen ein wenig distanziert und sind in einer Situation, in der die Partie gegen die Bayern eine Art Bonusspiel ist. Wir können frei aufspielen und ihnen hoffentlich Paroli bieten. Vielleicht sind wir demnächst Weltpokalsiegerbesieger, dann können wir ein paar neue T-Shirts drucken“, meinte der sportlich Verantwortliche und ließ schwer erahnen, wie viel Flachs und wie viel Kampfansage dahintersteckt.

„Wir haben eine sehr hohe Qualität in der Mannschaft und können auch Bayern München schlagen“, ist in jedem Fall Makoto Hasebe überzeugt, der am Samstag ohne seinen Nebenmann auf der Doppelsechs Djibril Sow auskommen muss. Der Schweizer sah in der ersten Halbzeit seine fünfte Gelbe Karte. Selbst Schlussmann Trapp bleibt mit Blick auf das Aufeinandertreffen der beiden stärksten Offensivreihen der Liga angriffslustig: „In der Form, in der wir gerade sind, und mit dem Selbstvertrauen, das wir aktuell haben, können und wollen wir auch gegen Bayern gewinnen.“ Es wird im Vergleich des Dritten mit dem Ersten nach der vergangenen Nadel- die wohl nächste Nagelprobe.