Während Sportvorstand Fredi Bobic kurz nach dem Schlusspfiff des 54. Saisonspiels begründete, „mit dem einstelligen Tabellenplatz und dem Abschneiden in den Cupwettbewerben alle Saisonziele erreicht“ zu haben, betrachtete Adi Hütter die letzten Augenblicke einer laut Sebastian Rode „denkwürdigen Saison“ nicht nur auf sportlicher Ebene und ging mit sich selbst am strengsten ins Gericht: „Mich stört, dass ich Gelson Fernandes und Marco Russ nicht eingewechselt habe“, gab der Fußballlehrer unumwunden preis und argumentierte wie gewohnt lieber mit Erklärungen anstatt Ausreden. Denn bei aller Romantik waren allein die Kadernominierungen alles andere als selbstverständlich. Vordergründig ging es nämlich nicht nur um die Behauptung in der oberen Tabellenhälfte, nämlich in direkter Folge auch um das gerade in der aktuellen Coronakrise bedeutsame Abschneiden im TV-Ranking. „Man hat gesehen, dass es wichtig war, unsere Hausaufgaben zu machen, um auch hinsichtlich der TV-Gelder-Tabelle zu punkten“, sprach Bruno Hübner aus, was allein am Spielberichtsbogen abzulesen war. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um anzunehmen, dass diese Elf – mit Ausnahme vielleicht des freiwillig frühzeitig operierten Makoto Hasebe – auch aufgelaufen wäre, wenn es gewissermaßen um Alles gegangen wäre.
Der unstillbare Erfolgshunger der Stadtwaldjäger zeigt sich schon in vermeintlich nebensächlich erscheinenden Zusammenhängen. So ging dem ansehnlichen 1:0 durch Sebastian Rode, der mit seinem dritten Saisontor einen neuen persönlichen Bestwert aufstellte nicht nur der Zusammenprall der Paderborner Hintermannschaft, sondern auch eine liebevolle Stichelei von Timothy Chandler während des Aufwärmens voraus, wie Rode hinterher verschmitzt lächelnd verriet: „Weil ich beim Warmmachen schon drei Dinger versenkt habe, hat Timmy gleichzeitig angekündigt, ich würde auch im Spiel treffen und mich gleichzeitig aufgezogen, weil er mehr Tore als ich erzielt hat.“ Genauso „bezeichnend für die Saison“ empfand es Rode außerdem, dass es nach dem komfortablen 3:0-Vorsprung nochmal ergebnismäßig spannend wurde. Schließlich war nicht in jedem der nun zwölf Monate der von Bobic am Samstag beobachtete „Sommerfußball“ angesagt.
„Aber wir haben uns immer aus eigener Kraft aus prekären Situationen befreien und unsere Moral wie Qualität unter Beweis stellen können. Daran müssen wir in der neuen Saison anknüpfen“, setzte Rode einen Haken an die Runde, die genau genommen erst frühestens im August beendet ist. „Wir starten sicher mit einem großen Handicap ins Rückspiel“, blickt der seit längerem verletzungsfreie Mittelfeldmotor auf die verschobene K.-o.-Phase in der UEFA Europa League gegen den FC Basel. Wo ziemlich sicher eine nahezu identische Besetzung zur Verfügung stehen wird wie zum gestrigen Ausklang. In allen Personalien herrscht Klarheit, dem halben Dutzend Abgängen steht mit Ragnar Ache der erste Neuzugang gegenüber, hinzu kommt der eine oder andere zuletzt verliehene Akteur.
Und selbst de Guzman, Fernandes und Russ werden alles andere als aus der Welt sein, wie verschiedene Beteiligte bekräftigen. Unabhängig davon, dass der seit 1996 den Adler auf der Brust tragende Russ intern das Analyseteam unterstützen wird, „werden wir ihn gebührend verabschieden, wenn wieder Zuschauer ins Stadion dürfen“, kündigt Bobic an. „Ich bin stolz, drei Jahre in Frankfurt verbracht und hier meine Karriere beendet zu haben. Ich wünsche der Eintracht für die Zukunft alles Gute und werde immer ein Teil dieser Familie bleiben“, spricht auch Fernandes mit leicht wässrigen Augen in die EintrachtTV-Kamera. „Mir bleiben drei sehr gute Jahre mit dem Pokalsieg als absolutem Highlight in Erinnerung, in denen ich viele Freunde gefunden habe. Diese Erinnerungen nehme ich für mein ganzes Leben mit“, schließt sich de Guzman an, der in der Schlussphase zu seinem 68. Einsatz für die Hessen kam und wohl weiter die Fußballschuhe schnüren wird.
Wie außergewöhnlich eben nicht nur diese Spielzeit, sondern auch der Stellenwert der drei Routiniers ist, verdeutlicht Chefcoach Hütter: „Ich bin kein Fan davon, einen Kreis zu bilden. Aber manchmal nehme ich die Möglichkeit wahr. Drei Spieler hören hier auf, ich habe mich mit persönlichen Worten bedankt – genauso wie bei allen anderen. Das alles nimmt dich mit als Mensch. Ich hatte Tränen in den Augen im Kreis, Gelson übrigens auch.“ Und weil diese bekanntlich nicht lügen, schließt sich eine nicht unbedingt unkritische, aber in jedem Fall ehrliche Saison.