04.06.2020
Bundesliga

Superzahl 3

Das Glücksspiel gehört der Vergangenheit an, das Spielglück ist zurück. Wie Eintracht Frankfurt allen Unwahrscheinlichkeiten trotzt.

Rekordeinkauf: Winterneuzugang Stefan Ilsanker trägt sich erstmals in der Bundesliga in die Torschützenliste ein – so schnell wie kein Einwechselspieler vor ihm.

Im Vorfeld des Nachholspiels des 24. Spieltages am MIttwoch beim SV Werder Bremen sollte sich Adi Hütter nicht nur zu den Umständen der Spielverlegung von vor zwei Monaten äußern, sondern auch zum Saisonfinale 2016, als die Eintracht an der Weser 0:1 verloren hatte und das Stahlbad der Relegation durchleben musste. Beide Episoden erachtete der Cheftrainer als zweitrangig, zumal er selbst vor vier Jahren ebenso wenig beteiligt war wie ein Großteil des aktuellen Kaders. Bekanntermaßen gelang die Rettung gegen den 1. FC Nürnberg, was Auf- und Umschwung gleichermaßen bedeutete. Bis heute an der Seitenlinie fortgeführt von Hütter, zuvor eingeläutet von Niko Kovac. Der Kroate hatte nach dem ersten Spieltag der neuen Zeitrechnung 2016/17 gegen Freiburg stellvertretend für alle Trainerkollegen kundgetan, dass Spielausgänge nach einer längeren Pause grundsätzlich mehr dem Zufall als einer klaren Spielidee geschuldet seien. Glücksspiel unter freiem Himmel sozusagen.

Geschüttelt und geliefert

Dabei resultierte das letztlich rasante Wendemanöver an der Weser weniger auf Knopfdruck, sondern aus der konsequenten Trainingsarbeit der vergangenen Wochen. Oder um es mit Stefan Ilsanker zu halten, der in Bezug auf seine ersten beiden Bundesligatore schmunzelnd erklärte: „Das ist der Ketchup-Flasche-Effekt. Man schüttelt und schüttelt, lange kommt nichts und dann alles auf einmal.“ Kurz durchgeschüttelt wurden die Adlerträger nach eigener Auskunft offenbar auch während der Halbzeitansprache. „Wir hatten keinen Zugriff, sind nicht mehr gut angelaufen und haben nicht kompakt genug gestanden. In der Halbzeit habe ich paar Dinge korrigiert“, sprach Chefcoach Hütter nicht nur Kevin Trapp aus dem Herzen. „Die zweite Halbzeit war viel besser als die erste, mit der wir abgesehen von den ersten zehn Minuten nicht zufrieden sein können, weil wir mehr getrabt als gelaufen sind“, monierte und lobte der Schlussmann Leistungsabfall und -steigerung. Trapp war erstmals in der Saison auswärts und überhaupt erstmals seit dem DFB-Pokal Viertelfinale ausgerechnet gegen Werder ohne Gegentor geblieben. Der Weckruf zur Pause gipfelte schließlich darin, dass der Gastgeber den ersten Gegentreffer nach 343 Minuten hinnehmen musste und auf dem ersten Abstiegsplatz nach 29 Spieltagen nicht nur zehn Zähler hinter der Eintracht liegt, sondern weiter in der imaginären Heimtabelle das Schlusslicht bildet. Die Hessen wiederum feierten nach dem Befreiungsschlag beim VfL Wolfsburg den zweiten Auswärtssieg in Serie und verließen damit auch in der Fremde die rote Zone.

Fünf Richtige

Dass die Hessen nach der zweiten Englischen Woche hintereinander hinsichtlich Frische längst nicht im roten Bereich liegen, verdanken sie auch ihrem ausgewogenen Kader. Bereits vor dem Restart hatte Hütter angekündigt, „jeden Spieler“ zu brauchen und sogleich dreimal in Folge eine auf vier Positionen veränderte Startelf aufgeboten. In Bremen blieb es bei einer Änderung, dafür schöpfte der Fußballlehrer nicht zum ersten Mal das aufgestockte Wechselkontingent gewinnbringend aus. „Die zusätzlichen Optionen ermöglichen allen Vereinen, neue personelle und taktische Impulse von der Bank zu bringen“, befand der Österreicher noch tags zuvor. Angesichts der Tatsache, dass gegen Freiburg Mijat Gacinovic mit dem vorletzten Pass und Timothy Chandlers Treffer zum 3:3-Endstand ebenso das Zünglein an der Waage spielten wie Joker Bas Dost mit seiner Vorlage zum 2:1-Sieg beim VfL war dies sicher keine allzu gewagte Einschätzung, überwiegend die fünf Richtigen einzuwechseln. Doch die Wechselquote in Bremen toppte nochmal alles. Nicht nur weil Stefan Ilsanker 17 Sekunden nach seiner Einwechslung, wie von Trapp messerscharf analysiert „von der Außenlinie in den Fünfmeterraum“ einlaufend, einen neuen Bundesligarekord aufstellte. Sondern auch, weil der ebenso neu gekommene Dost den Eckball entscheidend verlängerte und in der 90. Minute Jonathan de Guzman per Freistoßflanke zum 3:0-Endstand servierte.

Bas Dost verbucht zum zweiten Mal in Folge nach seiner Einwechslung eine Torvorlage.

Dass alledem eine aufreibende Vorarbeit dauerbeanspruchter Kollegen wie Sebastian Rode, mit 39 gespielten und 38 angekommen (!) Pässen herausragender Taktgeber, vorausgegangen ist, gehört schließlich auch zur Wahrheit des am Ende deutlichen, aber nicht immer ungefährdeten Sieges, der längst nicht so golden glänzt wie Hütters Händchen. Nicht von der Hand zu weisen ist nichtsdestotrotz, dass die Eintracht-Flotte nicht nur tabellarisch wieder auf Kurs liegt, sondern auch Tag für Tag ihre taktische Balance besser austariert. Ganz im Sinne Hütters, der „die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt“ verlangt. Nachdem also – um beim Bild zu bleiben – der neu konfigurierte Kompass in der zurückliegenden Woche nach Norden zeigte, wartet schon am Samstag im Herzen von Europa das Rhein-Main-Duell gegen Mainz 05. „Wir müssen so lange punkten, bis wir theoretisch gesichert sind“, möchte sich Trapp aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz nicht auf den Zufall verlassen.