15.03.2021
Bundesliga

Wer die Wahl hat

Hochrechnungen bleiben in Frankfurt weiter aus, personelle Engpässe lösen die Verantwortlichen taktisch elegant. Was das 1:1 in Leipzig ansonsten lehrt.

1:1 in Leipzig, ein Punkt mehr und weiterhin auf Platz vier stehend, während neun Spieltage vor Saisonende der Vorsprung auf Rang fünf zwei und Position sieben sechs Zähler beträgt. „Es ist erstmal ein Punkt, den wir brauchen und der noch wichtig werden wird“, fokussierte sich Stefan Ilsanker bei der Bewertung des Remis auf das Hier und Jetzt, während am Doppelwahltag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg die Hochrechnung wesentlich heißer liefen.

Die richtige Wahl zu treffen, stellte auch das Trainerteam um Adi Hütter vor dem Topspiel am Sonntagnachmittag vor gewisse Herausforderungen, taktisch wie personell. Die verletzungsbedingten Ausfälle von Erik Durm und Martin Hinteregger mussten diese Entscheidungen deshalb nicht unbedingt erleichtern, zumal mit Almamy Toure die erste Alternative auf der rechten Außenbahn längerfristig passen muss. „Wegen des Ausfalls von Erik Durm haben wir uns entschieden, das Zentrum zu stärken“, erläuterte Cheftrainer Hütter hinterher seine Gedankenspiele, in der Mitte mit drei Mittelfeldspielern zu beginnen und zudem Daichi Kamada auf der rechten Außenbahn zu platzieren.

Es waren gewissermaßen Umstellungen im Windschatten des öffentlichen Diskurses, der seit Wochen vor allem die Gretchenfrage nach Doppelzehn oder Doppelspitze stellt. Dabei gestaltet sich der Konkurrenzkampf im defensiven Mittelfeld nicht weniger prickelnd, weil in der Regel zwei Plätze für vier Anwärter vorhanden sind. Doch auf einmal stand im ehemaligen Zentralstadion das gesamte zentrale Quartett gemeinsam auf dem Rasen.

Um beim Symbol der Regierungsbildungen zu bleiben, verteilte sich wie in jeder demokratischen Rechtsordnung die Verantwortung so auf mehrere Schultern. Die breitesten hatte an jenem Nachmittag sicher einer, an dem im Nachgang wie während des vorangegangenen Schlagabtausches kaum einer vorbeikam: Stefan Ilsanker. Der ehemalige Leipziger überragte nicht nur mit 91 Prozent angekommenen Pässen, einer Zweikampfquote von 80 Prozent und nur einem einzigen Foulspiel, sondern nicht zuletzt auch mit einer Spitzengeschwindigkeit von 33,96 Kilometern pro Stunde. „Ich glaube, Leipzig hat fast die schnellste Offensive in der Liga. Wenn man da nicht mithalten kann, schaut es nicht so gut aus“, meinte der zentrale Innenverteidiger, nachdem er zuvor über 90 Minuten seinem absenten Landsmann Martin Hinteregger alle Ehre gemacht hatte. Fast zu schade, dass die Anzahl der von Ilse zur Kunstform erhobenen Grätschen, wie in der 35. Minute, nicht in die offiziellen Spieldaten eingeflossen sind...

Die wenigsten Ballverluste und nicht nur gefühlt die meisten Grätschen: Prellbock Stefan Ilsanker.

Bemerkenswert überdies: Ilsanker verbuchte von allen Frankfurtern die wenigsten Ballverluste, nämlich drei Stück. „Kompliment an Ilse! Er hat sehr gut gespielt, hat viel mit der Mannschaft geredet und war immer positiv“, lobte Makoto Hasebe, der die anspruchsvolle Position als letzter Feldspieler nur zu gut aus eigener Erfahrung kennt. Und sich nach dem Seitenwechsel häufiger als zuvor auch zwischen die Abwehrkette fallen ließ, wodurch Tuta sich mehr um die rechte Defensivseite kümmern konnten und nicht zuletzt Kamada bei eigenem Ballbesitz mehr Freiräume nach vorne eröffnete, was der Filigrantechniker nach einer Stunde just zum 1:1-Endstand ausnutzen konnte.

Insbesondere in den ersten 45 Minuten hatte der Japaner seine ungewohnte Rolle als Alleinunterhalter auf der rechten Seite höchst konsequent ausgeübt. Verdächtigungen, er würde als verkappter Spielmacher in der Mitte tummeln, bestätigten sich nicht, die Nummer 15 hielt im wahrsten Wortsinn seine (Seiten-)Linie. Das war auch bitter nötig, denn fast zwei Drittel aller Leipziger Angriffe fanden über deren linke oder halblinke Seite statt. Nach der Anfangsviertelstunde sah sich Kamada unter allen Frankfurtern am häufigsten unter Gegnerdruck gesetzt.

Ausgerechnet, als sich die Adlerträger gegen Ende des ersten Durchgangs allmählich aus diesem Druck befreien konnte, waren sie wenige Sekunden nach der Pause erstmals unter Ergebnisdruck. Nachdem Frankfurt am Ende den 16. Punkt nach einem Rückstand ergattert hatte, lobte Kevin Trapp zwar die Comeback-Kompetenzen seiner Kollegen, mahnte jedoch auch: „Trotzdem müssen wir versuchen, frühe Gegentore in der zweiten Halbzeit abzustellen.“ Insofern deckten sich Trapps und Hasebes zweigeteilte Ausführungen. So erkannte der Torhüter mit Blick auf die ersten 45 Minuten: „Wir waren nicht mutig genug, hatten vielleicht zu viel Respekt und haben zu wenig Fußball gespielt.“ „Nach dem schnellen Gegentor in der zweiten Halbzeit wurden wir mutiger, haben nach vorne gespielt und sind besser geworden“, stellte wiederum Routinier Hasebe fest. Rückstände als Mutmacher, eine groteske Gemengelange, die es auch nicht an allen Fußballstandorten gibt – aber wenn’s denn hilft...

Am nächsten Spieltag zum Zuschauen verdammt: Amin Younes.

Daraus einen Matchplan abzuleiten, würde freilich jedem Selbstverständnis der Hessen entbehren. „Zu Hause gegen Union müssen wir drei Punkte holen. Wir müssen uns jedes Spiel konzentrieren und unsere Leistung bringen“, betonte Hasebe fast gebetsmühlenartig. So viel zur Eigenverantwortung der Adlerträger, während Hütter und Co. nach dem freien Dienstag wieder zum Tüfteln gezwungen sind. Mit Tuta und Amin Younes werden gegen den 1. FC Union Berlin zwei Spieler gelbgesperrt fehlen, genauso Durm und Toure. „Die Verletzungen sind sehr unangenehm. Aber wir werden auch gegen Union Berlin am Samstag eine schlagkräftige Mannschaft auf dem Platz haben“, ist Hütter felsenfest überzeugt und kann sich hierbei der Rückendeckung des Sportdirektors sicher sein. „Der Trainer nimmt alle Spieler immer gut mit. Das hat er immer geschafft“, ist Hübner guten Mutes.

Derweil hat sich herausgestellt, dass Martin Hinteregger eine Zerrung der Faszie des linken Oberschenkels erlitten hat. Eine Rückkehr ins Mannschaftstraining in den nächsten Tagen ist vom weiteren Heilungsverlauf abhängig. Auch hier gilt: Hochrechnungen sind erstmal zweitrangig, weder mit dem Schönsten noch mit dem Schlimmsten. „Wir haben noch neun Spiele. Deswegen schauen wir erst am Ende“, denkt Hasebe nicht allzu langfristig. Bei der Wahl zwischen drei, einem und null Punkten wird aber selbst der Chefdiplomat eindeutig denken.