03.12.2020
Historie

Jungstar aus alten Zeiten

Am Samstag kommt der BVB mit dem jüngsten Bundesligaspieler aller Zeiten. Diesen Status hatte über fast 30 Jahre Eintrachts Jürgen Friedl – der am 20. März 1976 gar nicht hätte spielen dürfen.

Dass Youssafa Moukoko bereits mit 16 Jahren und einem Tag in der Bundesliga spielen durfte, hat er der erst kürzlich erwirkten Absenkung der Altersgrenze zu verdanken. Demnach ist ein Spieler ab der Vollendung des 16. Lebensjahres einsatzberechtigt, was der BVB direkt bei der ersten Gelegenheit genutzt hat. Moukoko hatte am Vortag Geburtstag gefeiert, ehe er beim 5:2-Auswärtssieg der Borussen am 21. November zumindest als Joker mitwirken durfte. Früher, genauer gesagt in den 1970er Jahren, lag die Altersgrenze noch höher – verstanden oder gewusst hat das aber nicht jeder.

Am 20. März 1976 ist die Eintracht am 25. Spieltag gegen Hannover 96 gefordert. Stammtorhüter Günter Wienhold hatte sich in der Vorwoche in Mönchengladbach einen Knöchelbruch zugezogen und wurde bereits nach 14 Minuten von Dr. Peter Kunter ersetzt. Der 35-Jährige befand sich eigentlich auf Abschiedstournee, es sollte seine letzte Saison sein. Trainer Dietrich Weise hatte viel Vertrauen in den A-Jugend-Torhüter Jürgen Friedl und holte diesen für die Partie gegen die Niedersachsen in den Kader. „Ich war im Training schon immer mal dabei. Weise wollte mich eigentlich schon beim Hallenturnier im Januar einsetzen, aber da war ich erst 16 Jahre alt. Im Februar wurde ich 17, der Verein hat die Spielgenehmigung eingeholt und gegen Hannover saß ich auf der Bank“, erzählt Friedl.

17 Jahre, 26 Tage

Zur Pause beim Stand von 3:0 klagte Kunter, der eine berufliche Karriere als Zahnarzt forciert hatte und nur noch Teilzeittorwart war, über muskuläre Probleme. Friedl machte sich warm, Wolfgang Kraus hatte mittlerweile auf 4:0 erhöht und in der 64. Minute war es soweit. Im Alter von 17 Jahren und 26 Tagen wurde Friedl der jüngste Spieler der Bundesligahistorie. Die Eintracht gewann gegen den späteren Absteiger 5:1 und es winkte ein Besuch im aktuellen sportstudio. Doch dazu kam es nicht.

Friedl erklärt: „Ich gehörte seinerzeit zum jüngeren Jahrgang der U19. Ich hätte aber zum älteren gehören müssen. Der DFB hatte die Spielgenehmigung also fälschlicherweise ausgestellt.“ Und direkt nach dem Spiel wieder eingezogen, was der Verband Eintracht-Geschäftsführer Jürgen Gerhard umgehend mitteilte. Das sportstudio ließ den Spielbericht unter den Tisch fallen, die Partie wurde mit 5:1 gewertet. „Meine Bundesligakarriere war aber zumindest bis zum 1. August 1976 wieder auf Eis gelegt“, sagt Friedl. Kunter kehrte am nächsten Spieltag zurück und ging kurz vor Saisonende nach 234 Bundesligapartien für die Eintracht in Fußballrente. Der kurzfristig verpflichtete Jupp Koitka, der sich zum Stammtorhüter entwickeln sollte, hütete als vierter Torhüter der Saison den Kasten. Nicht zum Einsatz kam übrigens Michael Krumpe, die Nummer eins der immerhin drittklassigen Oberligamannschaft.

Abgelöst von Nuri Sahin

Erst am 6. August 2005 sollte Nuri Sahin den in Bad Vilbel aufgewachsenen Friedl ablösen. Übrigens ebenso im Dress des BVB wie heute Youssoufa Moukoko, über den der heute 61-Jährige sagt: „Ich verfolge ihn schon länger und schaue mir gelegentlich Spiele der Youth League an. Es macht Spaß, ihm zuzusehen. Er ist sehr, sehr weit für sein Alter. Ich bin gespannt, wo das noch endet.“ Vergleiche zu seinem ersten Einsatz möchte Friedl gar nicht ziehen. „Das war eine andere Zeit. Damals war man mit 17, 18 Jahren noch echter Jugendspieler, heute kicken zahlreiche Jungs in diesem Alter schon in der Bundesliga.“

Friedl blieb noch bis 1979 bei der Eintracht, kam aber nur noch auf vier Pflichtspieleinsätze – allesamt in seiner abschließenden Saison 1978/79. „Dann kam Manager Udo Klug zu mir und meinte, dass ich mit 1,75 Metern zu klein für die Bundesliga sei.“ Nebenbei bemerkt: Alle drei Bundesligaspiele mit Friedl endeten siegreich. Da half es auch nichts, dass Trainer Friedel Rausch ihn gerne behalten hätte. Wechsel in die zweite Liga scheiterten, sodass er wieder zurück in die Heimat ging und mit dem FV Bad Vilbel bis in die Oberliga marschierte. Später wirkte er unter anderem in Schwalbach und in seinem heutigen Wohnort Frankfurt-Griesheim, bei der Spielvereinigung 02. Vor rund einem Jahrzehnt beendete er sämtliche Vorstandsengagements und hängte auch die bei den Alten Herren hin und wieder genutzten Fußballschuhe an den Nagel. Eine Hüftoperation 2014 sei zwar ohne Komplikationen verlaufen, die Lust aufs Kicken sei trotzdem nicht mehr da.

Die Fans sind das Salz in der Suppe.

Jürgen Friedl

Die Eintracht verfolgt er freilich weiterhin regelmäßig, und wenn es durchs Einkaufen im Lebensmittelmarkt um die Ecke ist. „Dort treffe ich gelegentlich Erwin Stein [mit der Eintracht 1960 im Jahrhundertspiel dabei; Anm.: d. Red.]. Dann fachsimpeln wir ein bisschen. Im Eintracht-Museum traf er im vergangenen Jahr beim Zusammenkommen ehemaliger Hessenauswahlspieler einige frühere Weggefährten, Kontakt besteht auch zu Thomas Zampach. „Ich freue mich immer, den einen oder anderen zu sehen. Verbundenheit und Interesse besteht immer, ich habe mir auch in jüngerer Vergangenheit gelegentlich das Training angeschaut. Gerade bei den Spielen der Europa League in den vergangenen Jahren hat es im Stadion natürlich großen Spaß gemacht“, sagt Friedl, der diese Zeit vermisst. „Die Fans sind das Salz in der Suppe.“

Jürgen Friedls Arbeitgeber ist seit Mitte der 1980er Jahre die Portas GmbH in Dietzenbach, ein dort ansässiges Unternehmen im Bereich Renovierung. Auch hier könnte man wieder eine Verbindung zur Eintracht spannen, denn zu jener Zeit war Portas für zwei Spielzeiten Hauptsponsor. Außerdem organisierte Portas für rund zwei Jahrzehnte eine Fußballschule, in der Eintrachts ehemaliger Jugendmeistertrainer Klaus Mank als Campleiter wirkte – und Friedl dessen rechte Hand in Organisationsangelegenheiten war. Hätte 1976 das Duo Mank/Friedl beim DFB genauso akribisch gearbeitet wie in der Portas-Fußballschule, wäre der junge Torhüter vielleicht heute nicht Vorgänger von Youssafa Moukoko als jüngster Bundesligaspieler aller Zeiten.