17.06.2019
Historie

„Kann man sich nicht aussuchen“

Jürgen „Seemann“ Vieth hat den Vorsänger quasi salonfähig gemacht. Wer wie er seit fast fünf Jahrzehnten dem Verein angehört, hat viel zu erzählen.

Jürgen, könntest du dich unseren Lesern bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Jürgen Vieth. Ich bin einer der ersten Einpeitscher im Frankfurter Waldstadion im damaligen G-Block gewesen. Eintracht-Fan bin ich seit 48 Jahren.

Du bist seit bald fünf Jahrzehnten in der Fanszene. Wie bist du eigentlich bei der Eintracht gelandet?
Mein erstes Bundesligaspiel, das ich besucht habe, war bei Kickers Offenbach, also nicht mal von der Eintracht. Die Kickers haben damals gegen den 1. FC Köln gewonnen. Einen Tag später hat die Eintracht dann gegen Borussia Mönchengladbach gespielt. Das war mein erstes besuchtes Eintracht-Spiel. Wir haben leider verloren, trotzdem bin ich danach Eintracht-Fan geworden!

Und bist als solcher längst bekannt wie ein bunter Hund. Wie kam’s dazu?
Es war ein mieses Spiel und keine Stimmung im Stadion. Irgendwie habe ich dann so einen Wutanfall bekommen und bin auf einen Wellenbrecher gekrabbelt und habe „Eintracht, Eintracht“ gerufen. Komischerweise haben die anderen um mich herum mitgebrüllt. Auf einmal war Stimmung und wir haben gewonnen. Ich habe mir dabei nichts weiter gedacht, bis beim nächsten Heimspiel einfach mein Name gerufen wurde – besser gesagt: Mein Spitzname „Seemann“. Also bin ich wieder auf den Wellenbrecher, um Gesänge anzustimmen. Das war eigentlich nicht mein Wille, es wurde einfach gefordert.

Du bist sicher nicht ganz zufällig im Stehblock gelandet?
Ich war damals sechs Jahre alt, der G-Block hatte mich schon immer fasziniert mit all den großen Fahnen. Ich habe weniger auf das Spiel geachtet, sondern hatte nur Augen für diese Fahnen. Schnell wurde mir klar: Dort möchte ich auch hin! Diese Emotionen finden sich andernorts fast nicht. Man kann sich das auch nicht aussuchen und wird gewissermaßen in den Verein hineingeboren. Es geht dabei auch nicht in erster Linie um Erfolg oder Misserfolg. Wenn es danach ginge, hätte ich mich ja nach dem ersten Spiel für den Verein vom anderen Mainufer entschieden. (schmunzelt) Diese Dinge spielen sich innerlich ab und irgendwann gewöhnt man sich an diese Gefühle. Ich kann mir ein Leben ohne die Eintracht nicht vorstellen.

Nicht wegzudenken ist auch ein Gassenhauer der Rodgau Monotones, der dank dir den Weg in den Stadtwald gefunden hat.
Die Rodgau Monotones haben damals ja viele hessische Lieder gesungen. „Erbarme, zu spät“ hat daher ganz gut zu uns gepasst. Später habe ich den Song nach jedem Tor angestimmt, was sich dann so fortgeführt hat. So ist das auf meinen Mist gewachsen. (lacht)

Viele Mitstreiter loben deine Einsatzfreude auch über die 90 Minuten hinaus. Ein Beispiel gefällig?
Da fällt mir spontan eines ein: Vor Auswärtsspielen standen am Hauptbahnhof immer drei, vier jüngere Fans, die sich die Fahrt nicht leisten konnten. Also haben wir für sie gesammelt, damit sie mitfahren konnten.

Woran erinnerst du dich weniger gerne?
Die schlimmsten Momente waren die Abstiege, die wir erlebt haben. Es ging dabei nicht um die Abstiege an sich, sondern eher um die Art und Weise, wenn wir den Eindruck hatten, die Spieler hätten nicht alles gegeben. Ich bin ja schon zu Zeiten im Stadion gewesen, als wir viel und erfolgreich international gespielt haben. Dann war ein Abstieg natürlich das Schlimmste. Normale Niederlagen gehören aber einfach dazu.

Was würdest du als deinen schönsten Eintracht-Moment bezeichnen?
So merkwürdig das klingt: Einfach jedes Spiel für sich. Wenn du mit deinen Kumpels zusammen sein kannst, dein Bierchen trinkst und das Spiel genießt: Dieses Wellental, das sich schon innerhalb einer Partie abspielen kann. Deshalb kann ich kein explizites Ereignis wie vielleicht den DFB-Pokalsieg nennen.

Wie erklärst du Außenstehenden das Phänomen der Frankfurter Fanszene?
Wir haben zwar politische Meinungen, wenn auch keine radikalen. Wichtig ist vor allem, dass wir als Familie in Erscheinung treten, auch auswärts. Sonst könnten wir nicht mit 15.000 oder 20.000 Fans reisen. Das würde mit einer zerstrittenen Fanszene nie funktionieren. Darauf bin ich sehr stolz.