02.12.2020
Bundesliga

Überraschung!

Dortmund zaubert seit Monaten Toptalente und taktische Kniffe aus dem Hut wie Galavorstellungen auf den Rasen. Doch ab und an ist sich die Borussia selbst das größte Rätsel.

Situation: Serien mit Schönheitsflecken

Mit 18 Punkten nach neun Ligaspielen steht der BVB vor dem Duell mit der Eintracht auf Tabellenplatz vier. Dem souveränen 3:0-Auftaktsieg gegen Borussia Mönchengladbach folgte eine unerwartete 0:2-Niederlage in Augsburg. Im Anschluss siegte die Mannschaft von Lucien Favre viermal hintereinander, ehe der FC Bayern München diesen Lauf am siebten Spieltag stoppte. Vor der Partie waren die Meisterschaftskonkurrenten punktgleich, durch den 3:2-Erfolg zog der Rekordmeister davon. Dortmund zeigte sofort eine Reaktion und siegte in der nachfolgenden Partie trotz 0:1-Pausenrückstand mit 5:2 bei Hertha BSC. Der nächste Dämpfer ließ nicht lange auf sich warten: Am vergangenen Samstag musste der BVB eine 1:2-Heimpleite gegen den zuvor 18 Spiele in Folge sieglosen 1. FC Köln hinnehmen. Das sorgte auch bei Trainer Favre für Frust: „Ich bin tief enttäuscht, natürlich“, erklärte der Schweizer nach der Partie.

Borussia Dortmund 2020/21
Kompakt6 Siege, 0 Unentschieden, 3 Niederlagen, 21:9 Tore, 18 Punkte, Tabellenplatz 4
FormkurveS-S-N-S-N
TorschützenHaaland (10), Hummels (3), Reus (2), Akanji (1), Can (1), Guerreiro (1), Hazard (1), Passlack (1), Reyna (1)

In der UEFA Champions League hingegen läuft es für die Dortmunder besser. Obwohl die Auftaktpartie mit 1:3 bei S.S. Lazio verloren ging, führen die Borussen die Gruppe F an. Die jüngsten drei Partien gewannen die Borussen allesamt zu null. Mit einem Sieg Rom am Mittwochabend wäre der BVB bereits als Gruppensieger für das Achtelfinale qualifiziert gewesen, die Berechtigung für die K.-o.-Runde haben die Nordrhein-Westfalen durch das 1:1 in jedem Fall sicher. Auch wenn die Frankfurter Beteiligten um die Zusatzbelastung wissen, möchten sie sich nicht darauf verlassen. „Vielleicht lassen sie Körner liegen, dennoch können sie gut rotieren, weil sie in der Startelf wie auch auf der Bank top besetzt sind“, verweist Erik Durm auf den breiten Kader seines Ex-Klubs.

Trainer: Keiner punktet besser

Den Großteil seiner aktiven Laufbahn verbrachte Lucien Favre in der Schweiz, wo er 1983 die Auszeichnung als Schweizer Fußballer des Jahres erhielt. Nach seinem Karriereende machte der 63-Jährige auch seine ersten Schritte als Cheftrainer in seinem Heimatland. Über Stationen beim Servette FC und dem FC Zürich, den er zu zwei Meisterschaften und einem Cupsieg führte, heuerte Favre 2007 bei Hertha BSC an. Für den Hauptstadtklub stand er in 94 Partien an der Seitenlinie und erreichte in der Saison 2008/09 den vierten Tabellenplatz im Oberhaus. Nach etwa anderthalb Jahren ohne Traineramt übernahm der Eidgenosse im Februar 2011 die auf Rang 18 abgeschlagene Borussia aus Mönchengladbach und hielt über die Relegation die Klasse.

Im Folgejahr führte er seine Mannschaft auf Platz vier und 2015 sogar erstmals in der Vereinsgeschichte in die Königsklasse. Im Sommer 2018 kehrte Favre nach seiner Zeit beim OGC Nizza in die Bundesliga zurück und unterschrieb einen Vertrag bei Borussia Dortmund. Mit dem BVB wurde er zweimal hintereinander Vizemeister und ist mit einem Schnitt von 2,04 Zählern pro Spiel der punktbeste Coach der Dortmunder Vereinsgeschichte. Das einzige Hindernis auf dem Weg an die absolute Spitze ist derzeit eigentlich Rekordmeister FC Bayern München.

Taktiktafel: Junge Hüpfer und alte Hasen

Lucien Favre lässt seine Mannschaft vorrangig in einem 4-2-3-1-System auflaufen, aber abhängig von den individuellen Fähigkeiten der Startelf auch problemlos mit einer Dreierkette agieren. Durch die Doppelbelastung mit den Champions League-Partien unter der Woche rotiert Favre immer wieder, lediglich Rechtsverteidiger Thomas Meunier stand in jedem Ligaspiel in der Startelf. Der 29-Jährige musste am vergangenen Samstag verletzungsbedingt ausgewechselt werden, sein Einsatz am Wochenende ist ebenso fraglich wie der des Ex-Frankfurters Emre Can. Neben Meunier kamen in der Viererkette zuletzt Manuel Akanji, Mats Hummels und Felix Passlack, der den verletzten Raphael Guerreiro vertrat, zum Einsatz. Auf der Doppelsechs spielten Can und Axel Witsel, die Offensivreihe besetzten Julian Brandt, Kapitän Marco Reus und Jason Sancho. Als einzige Spitze stürmte BVB-Topscorer Erling Haaland.

Erling Haaland erzielte in der laufenden Spielzeit zehn Tore, nur Bayerns Robert Lewandowski (zwölf) mehr.

Alternativ stehen dem Coach mit Jude Bellingham, Giovanni Reyna, Thorgan Hazard und dem 16-jährigen Youssoufa Moukoko zahlreiche hochbegabte Offensivspieler zur Verfügung. Mit Reyna, Sancho, Haaland, Bellingham, Moukoko und Verteidiger Mateu Morey haben die Borussen einige Youngster in ihren Reihen, die schon jetzt regelmäßig zum Aufgebot zählen und ihren Teil zu 21 Toren (zweitbeste Marke hinter Bayern), 88,3 Prozent Passgenauigkeit, 61 Prozent Ballbesitz und 66 zugelassenen Schüssen (jeweils Ligabestwert) beitragen. Zusammen mit gestandenen Akteuren wie Mats Hummels, Roman Bürki, Emre Can und Marco Reus ist das Team von Lucien Favre in der Regel unberechenbar. Zumal sechs Standardtreffer, davon fünf nach Ecken, ebenso wenig zu verachten sind.

Spieler im Fokus: Raphael Guerreiro

Der Portugiese steht seit Juli 2016 in Dortmund unter Vertrag und gehört fest zum Stammpersonal. Guerreiro gilt als variabler Spieler, der auf der linken Seite sowohl in der Defensive als auch im Mittelfeld einsetzbar ist. Der 26-Jährige hat immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen, sein Wert fürs Team ist gleichwohl unbestritten. In 132 Pflichtspielen für den BVB war der Portugiese an 50 Toren direkt beteiligt (25 Treffer, 25 Vorlagen). Auch in dieser Saison scheint Guerreiro unverzichtbar. In sieben Spielen sammelte er vier Scorerpunkte (ein Tor, drei Assists). Zudem führt das Fachmagazin kicker den amtierenden Europameister mit einem Notenschnitt von 2,80 als viertbesten Profi der Borussen.

Antreiber, Ballverteiler, Europameister: Raphael Guerreiro.

BVB-Sportdirektor Michael Zorc fand jüngst auf einer Pressekonferenz lobende Worte für den Portugiesen: „Er gehört sicher zu den besten Fußballern bei uns. Er mag auch das Risiko, aber ich denke, dass er eine gute Balance gefunden hat.“ Zumal „die Batterie“ auf dem Flügel ein in dieser Form seltenes Positionsprofil als verkappter Spielmacher ausfüllt. 18 Torschussvorlagen, teaminterne Spitze, stehen ebenso für sich wie 58,5 Prozent gewonnene Zweikämpfe. Am vergangenen Spieltag konnte der 45-malige Nationalspieler aufgrund einer Oberschenkelzerrung nicht mitwirken, doch schon am Mittwoch stand er wieder in der Startelf und markierte gegen Rom prompt die zwischenzeitliche Führung. Die Schlagzeilen sollen aus Eintracht-Sicht am Samstag freilich anderen Akteuren gehören.

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