Situation: Zurück in die Zukunft
Müßig, zu phantasieren, wie der Auswärtsauftritt am vergangenen Sonntag beim FC Bayern verlaufen wäre, hätte Danny Latza nach der Pause beim Stand von 2:0 nicht das Aluminium getroffen. Am Ende nahm das ungleiche Kräftemessen doch seinen erwarteten Ausgang, der Rekordmeister drehte den Spieß in den zweiten 45 Minuten um auf 5:2, während sich die Gäste nicht nur wegen eines weiteren Lattentreffers in der Höhe unter Wert geschlagen sahen und mit vier Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz an vorletzter Stelle verharren. Sechs Punkte nach 14 Spieltagen bedeuten die schwächste Zwischenbilanz der Mainzer Bundesligageschichte.
Unabhängig vom Ausgang war abgemacht, dass Interimstrainer Jan Siewert nach dem Intermezzo an der Isar wieder auf seinen angestammten Posten als Nachwuchs-Cheftrainer im Leistungszentrum zurückkehren würde. Der Kurswechsel hatte nämlich bereits seit Heiligabend Konturen angenommen. Während die meisten Menschen andernorts durchschnauften, brachte der designierte und später öffentlich bekannt gemachte Vorstand Strategie, Sport & Kommunikation Christian Heidel die Rückholaktionen von Martin Schmidt als Sportdirektor und Bo Svensson als Cheftrainer auf den (Bruch-)Weg.
Maloche statt Malle
Ein neues sportliches Dreigestirn mit Stallgeruch, wie es so schön heißt. Heidel wirkte bereits in der Vergangenheit ein Vierteljahrhundert als Manager, führte die Rheinhessen von der zweiten Liga in die UEFA Europa League und förderte dabei zahlreiche Trainer aus dem eigenen Unterbau: Jürgen Klopp wurde vom Spieler zum Coach wie Welttrainer der vergangenen beiden Jahre, erreichte 2018 und 2019 jeweils das Champions League-Finale, letzteres siegreich, Thomas Tuchel zog 2020 ebenso ins Endspiel der Königsklasse ein. Als weitere Beispiele der internen Trainergilde gelten Sandro Schwarz, auch Schmidt – und seit Montag Svensson.
Die Maxime der neuen, alten Gesichter: Den Verein langfristig auf ein stabiles Fundament zurückführen, möglichst einhergehend mit dem sofortigen Klassenerhalt, aber nicht um jeden Preis. Davon zeugt allein die Vertragsdauer Svenssons bis 2024. „Wäre ich nur hierhergekommen, um mal kurz die Aufgabe zu meistern, die Liga zu halten, wäre ich nicht der richtige“, betont der 41-Jährige ebenso wie sein Vorgesetzter: „Die Vertragsdauer über dreieinhalb Jahre soll zeigen, dass wir dieses Projekt gemeinsam angehen wollen“, so Heidel, der sich wenige Wochen zuvor noch in seiner Wahlheimat Mallorca aufgehalten hatte.
1. FSV Mainz 05 2020/21 | |
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Kompakt | 1 Sieg, 3 Unentschieden, 10 Niederlagen, 14:31 Tore, 6 Punkte, Tabellenplatz 17 |
Formkurve | N-N-U-N-N |
Torschützen | Mateta (7), Quaison (2), Brosinski (1), Hack (1), Burkardt (1), Onisiwo (1), Stöger (1) |
Derweil haben die Nullfünfer nicht nur das Aus im DFB-Pokal zu verkraften, als sie beim VfL Bochum 0:3 im Elfmeterschießen unterlagen, sondern auch drei Ausfälle. Zum einen fehlten am vergangenen Spieltag Stammtorhüter Robin Zentner wegen Rückenproblemen und Innenverteidiger Luca Kilian angeschlagen, zum anderen wird Mittelfeldakteuer Pierre Kunde Malong nach einer Knieoperation einige Wochen nicht zur Verfügung stehen. Dazu gesellen sich zwei freiwillige Winterabgänge. Aarón Martín schließt sich leihweise Celta Vigo an, Abass Issah wechselt ebenfalls für ein halbes Jahr zu Twente Enschede.
Trainer: Zweite Heimat, erste Wahl
Wie eingangs bereits angerissen, wird bei Bo Svensson, der mit Co-Trainer Babak Keyhanfar einen weiteren gebürtigen Mainzer mitbringt, mit Anpassungsschwierigkeiten am wenigsten zu rechnen sein. Der aus Skørping stammende und in Kopenhagen aufgewachsene Däne hielt zwischen 2007 und 2014 122 Mal die Knochen in der Mainzer Innenverteidigung hin, assistierte in der Spielzeit 2014/15 zeitweise Martin Schmidt als Assistenztrainer und arbeitete sich seit 2015 als Cheftrainer von der U16 bis zur U19 hoch. Die A-Junioren führte der 41-Jährige 2019 schließlich auf Platz zwei der A-Junioren-Bundesliga Süd/Südwest und machte nach zwölf Jahren in der zur zweiten Heimat gewordenen Landeshauptstadt den FC Liefering auf sich aufmerksam.
Auch den österreichischen Zweitligisten führte Svensson, der selbst noch unter Klopp, Tuchel und Schmidt spielte und lernte, auf seiner ersten Profitrainerstation auf Anhieb auf Rang drei und während der laufenden Runde auf Position zwei, wohlgemerkt mit einer nicht weniger blutjungen Truppe, in der kaum ein Akteur älter als 20 Jahre ist. Hintergrund: Liefering fungiert gewissermaßen als Farmteam des Abonnementmeisters FC Salzburg.
Taktik: Match! Plan?
Insofern dürfte Adi Hütter, selbst mit einer Salzburger Vergangenheit, eine ungefähre Vorstellung vom angestrebten Spielstil seines neuen Kollegen haben, zumal die direkten Aufeinandertreffen mit den Mozartstädtern in der UEFA Europa League noch nicht allzu lange zurückliegen (4:1, 2:2). Neben Prinzipien wie energischem Pressing, kompromissloser Zweikampfführung und blitzartigen Umschaltaktionen in beide Richtungen war in Liefering der Zweimannsturm quasi in der Satzung verankert. Meistens mit einer Raute, aber manchmal auch mit einer flachen Vierermittelfeldreihe dahinter.
Erstere Variante hatte zuletzt Jan Siewert in München praktizieren lassen, zumindest 50 Minuten mit durchschlagendem Erfolg. Zumal die Nullfünfer von ihrer in den Vormonaten abwartenden Haltung abgekehrt waren und den Favoriten spätestens an der Mittellinie, meistens sogar höher attackierten. So oder so darf sich Svensson sicher sein, seine eigenen Ideen umzusetzen zu dürfen, wie er auf der Pressekonferenz aufzeigte: „Meine Meinung ist, dass man hier als Trainer die Freiheit hat, sich zu entwickeln. Es ist klar, was von dir gefordert wird, gleichzeitig hat man die Möglichkeit, seine eigene Philosophie zu kreieren. Jeder Trainer kann sich hier selbst treu bleiben und bekommt das Vertrauen des Vereins.“ Und weiter: „Es musste für mich immer das Gefühl sein, dass es ein Match ist.“ Die Antwort darauf hat er mit seiner Rückkehr selbst gegeben. Jetzt stellt sich für den fünften dänischen Übungsleiter der Bundesligageschichte die spannende Frage nach dem Plan.
Spieler im Fokus: Jonathan Burkardt
Es würde nicht überraschen, wenn Svensson wie seine Vorgänger auf einige Eigengewächse zurückgriffe. In München etwa begannen Debütant Finn Dahmen im Tor, Leandro Barreiro im Mittelfeld und Jonathan Burkardt im Sturm. Letzterer rechtfertigte das Vertrauen prompt und besorgte die frühe Führung. Svensson kennt den 20-Jährigen nur allzu gut und gilt als großer Förderer des deutschen Juniorennationalspielers. 53 Einsätze absolvierte Burkardt in der A- und B-Jugend unter Svensson, übrigens in jeder Altersklasse je drei Mal gegen die Riederwälder, ohne jemals zu verlieren.
Seit er als 18-Jähriger im September 2018 gegen Augsburg sein Erstligadebüt gefeiert hat, brachte es der Hoffnungsträger auf insgesamt 24 Einsätze im Oberhaus und drei im DFB-Pokal, in denen ihm je zwei Treffer und Assists gelangen. Obendrein besticht der 1,81-Meter-Mittelstürmer durch große Laufstärke in vorderster Front. Kurzum: Ein Mann wie gemacht für den angedachten Neustart.