09.12.2020
Historie

„Hier bin ich zu Hause“

Patrick Ochs spricht unter anderem über das Duell seiner Ex-Klubs Frankfurt und Wolfsburg sowie den Rollenwechsel vom Fußballer zum Funktionär.

Patrick, nach deinem Karriereende 2019 hast du schnell deine zweite Laufbahn eingeschlagen und unter anderem ein halbjähriges Praktikum bei der Eintracht absolviert. Wie kam es dazu und welche Erkenntnisse konntest du gewinnen?
Obwohl mich die Prozesse im Hintergrund schon als Spieler sehr interessiert haben, musste ich mich doch vor allem auf meine Kernaufgabe, das Fußballspielen, konzentrieren. Deshalb habe ich immer nur die eine Seite gekannt und allein darauf hingearbeitet, Wochenende für Wochenende die bestmögliche Leistung zu bringen. Daher war es mir wichtig, auch mal hinter die Kulissen zu blicken. Zum einen während meiner Weiterbildung in Fußballmanagement auf dem VfL Campus in Wolfsburg, zum anderen in Form des Praktikums in Frankfurt. Das hat mir insofern geholfen, als dass ich dadurch alle Strukturen eines Bundesligaklubs kennen lernen und in jede Abteilung reinzuschnuppern durfte, um deren Abläufe nachvollziehen zu können. Wahnsinn, wie viele Menschen mittlerweile für die Eintracht arbeiten, das wirkte zu meiner Spielerzeit noch eher spartanisch (lacht). Ich bin überzeugt, dass mit dem Bau des ProfiCamps der Verein noch mehr zusammenwachsen wird. Alle Mitarbeiter unter einem Dach: Das stärkt die Gemeinschaft zusätzlich!

Du selbst bist seit Sommer als Sportvorstand für den Hessenligisten Hessen Dreieich tätig. Wie laufen die ersten Monate in verantwortlicher Position?
Ich war jahrelang als Zuschauer dort, der Verein hat mich immer interessiert, weshalb ich auch als erstes dort Fuß fassen wollte. Für mich ist Dreieich als Einstieg ideal, weil die Dimensionen noch etwas kleiner sind, das öffentliche Interesse geringer ist und wir dadurch sehr gut im Hintergrund arbeiten können. Was natürlich nicht ausschließt, dass wir große Ambitionen haben und in die Regionalliga aufsteigen möchten. Dahingehend sind wir mit aktuell Platz zwei eigentlich auf einem guten Weg. Allerdings ist durch die Coronasituation derzeit vieles ungewiss.

Inwiefern?
Die Einschränkungen treffen die Hessenliga extrem. Keiner weiß, wie es nächstes Jahr weitergeht. Die Vereinsvertreter haben neulich verschiedene Szenarien durchgespielt, denn die Saison muss nach heutigem Stand in jedem Fall bis zum 13. Juni beendet sein und Auf- wie Absteiger feststehen. Generell setzen wir uns mit Blick auf unsere Ziele aber nicht zu sehr unter Druck. Der Aufstieg ist zwar die erklärte Vorgabe, aber immer auch ein Prozess, in dem es mal besser und mal schlechter läuft.

Gab es auch Überlegungen, woanders den beruflichen Einstieg zu suchen?
Sicher, man macht sich immer Gedanken. Ich hatte auch Möglichkeiten, etwas höherklassig zu arbeiten. Aber mir war es wichtig, im Frankfurter Dunstkreis zu bleiben. Hier lebt auch mein Sohn, hier bin ich zu Hause. Ich war lange genug weg und auch mit der Eintracht immer viel unterwegs. Natürlich kann niemand sagen, wo der Weg irgendwann hinführt. Ich möchte mich grundsätzlich immer weiterentwickeln.

Wenn du Frankfurt als dein Zuhause bezeichnest – welche Bedeutung hat die Eintracht für dich?
Wir müssen nicht lange drum rumreden, dass die SGE meine große Liebe ist, das wird immer so bleiben. Daran ändert auch mein damaliger Wechsel nach Wolfsburg nichts, den viele nicht verstanden haben. Aber wie eben gesagt: Ich möchte mich immer weiterentwickeln, menschlich und beruflich. Die Verwirklichung von höheren Zielen war zu meiner Zeit in Frankfurt nicht unbedingt so gegeben, wie es vielleicht heute der Fall ist. Dennoch gab es sportlich tolle Momente wie der Einzug ins Pokalfinale 2006 und das Endspiel in Berlin sowie die Partien im UEFA-Cup. Generell war für mich jedes Heimspiel ein Highlight. Die Eintracht ist mein Verein!

Fußballerisch sehe ich die Eintracht im Vorteil. Gerade, wenn sie Wolfsburg in der eigenen Hälfte beschäftigen, kriegen sie Probleme.

Patrick Ochs

Folglich Ehrensache, dass du bereits für die Traditionsmannschaft im Einsatz warst?
Ja! Die Einsätze machen jede Menge Spaß. Der Kontakt zu den alten Kollegen darf nie abreißen, das wissen Fußballer am besten, weil nach der Profikarriere jeder seinen eigenen Weg geht. Trifft man sich aber wieder, ist es, als wäre man nie auseinandergegangen. Sich in Kreisen wie der Tradi wiederzusehen, ist immer wieder lustig, zumal alles weniger ernsthaft als noch zu Spielerzeiten zugeht.

Wie betrachtest du die aktuelle Situation bei der Eintracht?
Insgesamt gut, auch wenn die Ergebnisse zurzeit eher durchwachsen sind. Eine Niederlage ist top, zwei Siege ausbaufähig. Die erste Halbzeit gegen Dortmund hat mir sehr gut gefallen. Wenn die Jungs so gegen den VfL spielen – aggressiv, lauf- und spielfreudig – und vorne draufgehen, sehe ich realistische Chancen auf einen Sieg. Ich habe den Eindruck, dass es der Mannschaft mehr liegt, früh zu attackieren, zumal der Weg zum Tor dann kürzer ist. Hinzu kommt, dass die Offensiven wie Kamada, Silva und Barkok ihre Stärken mehr im technischen Bereich haben: Sie sind trickreich und haben flinke Bewegungen drauf, sind aber noch nicht so geradlinig wie beispielsweise Kostic, der einen enormen Zug zum Tor entwickelt.

Als Pendant zu Kostic auf der rechten Außenbahn schenkt Adi Hütter vier verschiedenen Spielern das Vertrauen. Du hast früher eine vergleichbare Position bekleidet. Was macht die Außenverteidigung so anspruchsvoll?
Danke, dass du das ansprichst, weil diese Position tatsächlich viele unterschätzen. Du sollst nach vorne ankurbeln und zugleich von hinten mit aufbauen, weil die meisten Gegner den Ball gezielt auf die Außenbahnen lenken. Es ist kein Zufall, dass die Außenverteidiger oftmals die meisten Ballkontakte verbuchen. Dafür brauchst du am besten eine ordentliche Technik. Während sich in einigen Bereichen wie der Innenverteidigung oder im zentralen Mittelfeld Eigenschaften und Aufgaben auf mehrere Spieler verteilen lassen, muss der Außenverteidiger gewissermaßen von allem etwas mitbringen – nicht zuletzt eine riesen Ausdauer, weil es 90 Minuten hoch und runter geht.

Kommen wir zum Treffen deiner Ex-Klubs am Freitag. Was macht den VfL Wolfsburg derzeit so stark?
Wie ich bereits vor Jahren festgestellt habe, kommt der VfL in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals zu schlecht weg. Zumindest aus Spielersicht war der interne Umgang dort immer herzlich und der Teamgeist groß. Wie das heute aussieht, kann ich als Außenstehender natürlich nicht beurteilen. Fußballerisch sehe ich die Eintracht aber im Vorteil. Gerade, wenn sie Wolfsburg in der eigenen Hälfte beschäftigen, kriegen sie Probleme, weil die Aufbauspieler nicht die Schnellsten sind. Dennoch ist Wolfsburg nicht zu unterschätzen, immerhin sind sie noch ungeschlagen. Mit Steffen, Brekalo und Weghorst haben sie vorne drei gute Akteure, die nicht zur Entfaltung kommen dürfen. Aber die haben wir auch!

Also: Wie geht’s aus?
Ich rechne mit einem torreichen Spiel. Die Eintracht ist zwar leider momentan anfällig für Gegentore, während Wolfsburg erst zehn Gegentreffer kassiert hat. Doch mit unserer Offensivqualität können wir sie knacken. Deshalb sage ich 3:2 für Frankfurt. Ich bin sicher, dass sich die Spieler für ihre intensive Spielweise endlich belohnten und den Abstand nach oben verkürzen können.

Patrick Ochs hat im Nachwuchs- und Profibereich 18 Jahre den Adler auf der Brust getragen, 227 Pflichtspiele für die Eintracht absolviert, war SGE-Kapitän und ist Pokalsieger mit dem VfL Wolfsburg geworden. Seit Sommer ist der 36-Jährige Sportvorstand bei Hessen Dreieich – und am Freitagabend als Experte zu Gast bei EintrachtFM! Übertragungsbeginn ist um 20.20 Uhr.